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Fortbildungsangebote für Mitarbeiter in der Gerichtshilfe/den Sozialen Diensten der Justiz

Gutachterliche Äußerungen über Menschen werden vorwiegend als eine Domäne von Medizinern oder Psychologen angesehen, obwohl der Gesetzgeber in mehreren Bereichen (JGH, GH, Betreuungs- und Familiensachen) auch von Sozialarbeitern/Sozialpädagogen qualifizierte gutachterliche Stellungnahmen verlangt.

Während Psychologen und Mediziner die Anfertigung von Gutachten während ihres Studiums erlernen und unter ihrer Fachliteratur zahlreiche einschlägige Veröffentlichungen finden, werden Sozialarbeiter/Sozialpädagogen in ihrer Studienzeit im allgemeinen nicht hinreichend darauf vorbereitet, die von ihnen später geforderten Stellungnahmen anzufertigen. Auch bietet ihre Fachliteratur für diese spezifische Aufgabenstellung nur begrenzt Orientierungshilfen.

Die Finanzkrise der öffentlichen Hand zwingt auch den Sozialbereich, sich mit Qualitätssicherung auseinanderzusetzen. Sparen, das heißt optimaler Mitteleinsatz, Planen und zielorientiertes Arbeiten ist angesagt.

Deshalb müssen wir uns um Veränderungen in der Sache in der Strafrechtspflege bemühen und hierbei berücksichtigen Reformen müssen am Anfang eines Strafverfahrens angesiedelt werden, wo prozessuale Lösungen mit Hilfe der Sozialarbeit, möglicherweise unter Vermeidung von Haftstrafen erreichbar sind.

Dieses bedeutet, dass  zumindest zum Zeitpunkt der Ermittlungsverfahrens

  • Hinweise über die Täterpersönlichkeit, soziale Defizite und Lösungsansätze für eine Verhaltenskorrektur.
  • Konkrete Angebote von Hilfen (wer, wo, wann) erarbeitet und den Entscheidungsträgern der Justiz zugeleitet werden müssen.

Erst hierdurch versetzen wir die Entscheidungsträger der Justiz (Staatsanwälte, Richter) in die Situation den Straffälligen über die vordergründige Darstellung hinaus besser zu erfassen. Dieses ist auch die Vorbedingung für die Mitwirkung dieser Fachleute an Alternativen zum bisherigen Sanktionsrecht.

Hier nun zwei Beispiele über Fortbildungsangebote zur sozialanamnestischen Beurteilung von Straftätern um fachgerecht im Arbeitsfeld  die regelmäßig erforderlichen sozialanamnestischen Feststellungen zu treffen, auf denen die richterlichen Maßnahmen aufbauen können.

Das Institut für Kriminologie der Universität Tübingen hat daher – aufbauend auf eigenen Forschungsergebnissen – in Zusammenarbeit mit dem Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Gerichtshilfe  in den vergangenen Jahren in verschiedenen Bundesländern mehrtägige bis einwöchige Seminare durchgeführt. Darüber hinaus ein Langzeitseminar in Baden-Württemberg mit regelmäßigen Treffen zur Rückmeldung von Erfahrungen aus der Praxis umgesetzt.

Ziel dieser Seminare ist zum einen anhand von konkreten Fällen im Erfahrungsaustausch mit den Teilnehmern/innen die Erhebungstechnik zu verbessern und die ihrer bisherigen Vorgehensweise zugrunde liegenden, jedoch unreflektierten Leitideen aufzudecken. Zum anderen sollen die Teilnehmer/innen  insbesondere mit einem Instrumentarium zur kriminologischen Beurteilung des Straftäters vertraut gemacht werden. Diese in Tübingen erarbeitete Methode zur idealtypisch-vergleichenden Einzelfallanalyse erlaubt es dem Praktiker, ohne psychologische und psychiatrische Fachkenntnisse, anhand von erfahrungswissenschaftlich abgesicherten Kriterien den individuellen Straftäter in seinen sozialen Bezügen differenziert zu erfassen und daraus entsprechende Folgerungen für individuell abgestimmte spezialpräventive oder prophylaktische Maßnahmen abzuleiten. Auf diese Weise werden die Gerichtshelfer/innen befähigt, den Richtern eine solide Grundlage für deren Entscheidungen zur Verfügung zu stellen.

Hier nun zwei Darstellungen unterschiedlich zeitlich strukturierter Fortbildungen.

Skizze einer 3-stufigen Fortbildungsveranstaltung zum Thema „Qualitätsentwicklung, Struktur und Prozessqualität“; Entwicklung von verbindlichen Standards für die Gerichtshilfeberichterstattung

  • Die Umsetzung erfolgt in drei Seminarblöcken von je drei (3) Tagen, untergliedert für die Bereiche:
    • Anamnese
    • Diagnose
    • Folgerungen zu Prognose und Intervention
  • Die Einübung dieser Erkenntnisse im Rahmen der täglichen Arbeit in den Dienststellen
  • Die Einbringung der gewonnenen Erfahrungen im Plenum der einzelnen Seminare durch Vorlage der eigenen Gerichtshilfeberichte
  • Abschließende gemeinsame Festlegung von Standards für verschiedene Berichtsformen.

Zwischen den einzelnen Seminarblöcken sollten jeweils mindestens drei, längstens fünf Monate liegen.

Eine solche Seminarkonzeption setzt für die Zielsetzung voraus:

  • dass der Teilnehmerkreis konstant bleibt,
  • dass den Teilnehmern seitens der zuständigen Staatsanwaltschaften Aufträge im Ermittlungsverfahren erteilt werden. Dies gilt insbesondere für jene Dienstorte, die bislang von den Dezernenten ihrer zuständigen Staatsanwaltschaft nicht beauftragt werden. Die Unterstützung durch das Justizministerium und die Generalstaatsanwaltschaften ist notwendig und wird vorausgesetzt (ggf. Absicherung der erarbeiteten Standards durch die Verbindlichkeitserklärung seitens des Justizministerium)

Langzeitfortbildungskurs in der Methodik der Persönlichkeitserfassung Straffälliger

In der Zeit von Januar 1991 bis Januar 1994 führte berufsbegleitend und unterstützt durch das Justizministerium Baden-Württemberg die Universität Tübingen, Juristische Fakultät, Institut für Kriminologie mit der ADG diesen Kurs an der Universität und dem Heinrich Fabri Institut Blaubeuren durch. Geschlossen nahmen  die Mitarbeiter der Gerichtshilfe in Baden-Württemberg die Arbeit auf. Zwei Kollegen beendeten diese Fortbildung nicht, dennoch ist auf Grund des Ergebnisses eine umfassende Schulung und Zielvereinbarung erreicht worden. Die Teilnehmer haben regelmäßig teilgenommen und die fachlichen Leistungsanforderungen erfolgreich bewältigt.

Im Kursverlauf waren folgende Leistungen unter wissenschaftlicher Anleitung zu erbringen und in der Regel schriftlich nachzuweisen (im Wechsel von Plenum, regionaler Gruppenarbeit und häuslicher Einzelarbeit):

  • Mitwirkung an der Entwicklung eines neuen Erhebungsinstruments für die sozialpädagogische Diagnostik/ Prognostik in den Einsatzfeldern der Gerichtshilfe.
  • Nachbearbeitung von kriminologischen Begutachtungsfällen unter Einführung in die Methode der idealtypischen-vergleichenden Einzelfallanalyse nach Göppinger (MIVEA).
  • Re-Analyse von Gerichtshilfefällen, die nach seitherigen Methoden erstellt worden waren, anhand der neuen Instrumente, einschließlich Berichterstattung.
  • Erstellung von Analysen und Gerichtshilfeberichten zu aktuellen Fällen (allein) auf der Grundlage des neuen Instrumentes. Absicherung der Entwürfe gegen kriminologische Rückfragen bzw. andere Konzeptionen.
  • Bearbeitung aktueller fälle in Arbeitsgruppen (auch) zur Kontrolle der methodischen Stimmigkeit des neuen Instruments.
  • Ausarbeitung von Teilentwürfen  eines Praxisleitfadens in Arbeitsgruppen.

Generelles Ziel für die gesamte Gruppe aus dem Tätigkeitsbereich Gerichtshilfe war die Stärkung der Fachlichkeit durch Einüben einer vereinheitlichten und überprüfbaren Arbeitsmethode für praxisgeeignete, sozialpädagogische Diagnosen und Prognosen (und entsprechender Berichterstattung) in der Strafrechtspflege. Ergänzendes Ziel war die Schaffung einer Grundlage für die einheitliche Außendarstellung des Tätigkeitsbereichs der Gerichtshilfe in der Justiz und in der (Fach-) Öffentlichkeit.

Kursleiter: Prof. Dr. H. J. Kerner

In den Jahren ab 2002  gab es mehrere Fortbildungsseminare zu den vorgenannten Themen

In den Landesjustizministerien und/ oder den Mittelbehörden (Oberlandesgerichte, Generalstaatsanwaltschaften) gab es auf Anfragen der ADG zustimmende Antworten für die inhaltlichen Zielsetzungen derartiger Fortbildungen jedoch immer häufiger den Hinweis nicht vorhandener finanzieller Mittel.

Interessanterweise begannen in diesem Zeitraum vergleichbare Fortbildungsangebote für Jugendgerichtshelfer. Kooperationsvereinbarungen zwischen der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, dem dortigen Lehrstuhl für Kriminologie, Strafvollzug und Strafrecht, Prof. Dr. Dr. Michael Bock und den Landesjugendämtern Sachsen und Thüringen sicherten die angestrebte Ausbildung eines MIVEA-Zertifizierungskurses mit drei (3) mehrtägigen Blöcken in den Jahren 2002/ 2003 und neuerlich im Jahre 2005.

Hieraus wird ersichtlich es besteht bis in die Gegenwart ein besonderes Interesse an einer verbesserten sozialanamnestischen Berichterstattung auf denen die richterlichen Entscheidungen aufbauen können. Stellvertretend sei hier die Beschreibung des damaligen Generalstaatsanwaltes von Thüringen, dem heutigen OLG-Präsidenten von Sachsen-Anhalt angefügt die in der Aussage weiterhin aktuell bleibt. So wörtlich: “Nach wie vor bin ich daran interessiert, die Zusammenarbeit zwischen Angehörigen der Gerichtshilfe (jetzt des einheitlichen Sozialdienstes der Justiz) und den Staatsanwälten / Richtern zu fördern oder wo dieses noch nahezu gar nicht geschieht – überhaupt erst anzuregen. Es besteht die Befürchtung, dass ohne genügend Förderung die Gerichtshilfe zu einer Institution denaturiert, die sich im Wesentlichen nur noch mit der Vermittlung von gemeinnütziger Arbeit befasst. Damit wird der eigentliche Aufgabenschwerpunkt der Gerichtshilfe auch nicht annähernd erfasst, insbesondere der Wille des Gesetzgebers höchst unzureichend umgesetzt.“

In vielen Bundesländern gibt es abrufbare Aktionen zur Stärkung der Einschaltung der Gerichtshilfe bzw. des Einheitlichen Sozialdienstes der Justiz im Ermittlungsverfahren. Belege (NRW) findet der Leser an anderer Stelle.

Das besondere Interesse mancher Landesjustizverwaltungen an der vorrangigen Umsetzung der gemeinnützigen Arbeit ist kontraproduktiv zum eigentlichen Aufgabenschwerpunkt des Gesetzgebers zumal in vielen Regionen eine Sachbearbeitung und Umsetzung der Arbeitsauflagen durch Vereine/ Verbände umfangreicher und sachgerecht ausgeführt wird.

R.D. Hering