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Bericht des Generalstaatsanwalts Hamm vom 24.07.87 an den Justizminister von Nordrhein-Westfalen über den „verstärkten Einsatz der Gerichtshilfe in Strafverfahren“ – Erfahrungsbericht der Modellversuche bei den Staatsanwaltschaften Münster und Hagen

Es ging um die Bemühungen der GenStA Hamm um einen verstärkten Einsatz der Gerichtshilfe vor Anklageerhebung. Der Lt.OSTA in Münster hat den Einsatz der Gerichtshilfe durch Hausverfügung vom 23.05.85 und des Lt.OSTA in Hagen durch Hausverfügung vom 14.05.85 geregelt.

Münster ordnete an die Gerichtshilfe in allen Jugendschutzssachen gegen Erwachsene mit der Abschlussverfügung des E-Verf. vor dem Landgericht einzuschalten.

In allen sonstigen Verfahren sind in der Begleitverfügung zur Anklageschrift die Gründe darzulegen, weshalb die Einschaltung der Gerichtshilfe unterblieben ist.

Hagen ordnete an, die Gerichtshilfe grundsätzlich in jedem Fall vor Erhebung einer Anklage in Kapitalstrafsachen , bei schweren Sexualdelikten oder bei Kaufhausdiebstählen einzusetzen. Soll ausnahmsweise vom Einsatz eines Gerichtshelfers vor Erhebung der Anklage abgesehen werden, so sind die Handakten vor Zeichnung der Anklageschrift mit kurzer Begründung dem Abteilungsleiter vorzulegen.

Münster berichtete dem GenStA über eine erhebliche Steigerung des Einsatzes im Ermittlungsverfahren. Das Hagener Modell hat – bei einer anderen Ausgangslage als in Münster – 1985 gegenüber 1984 zu einer Versechsfachung der Quote des Einsatzes der Gerichtshilfe im Ermittlungsverfahren geführt.

1986 ist die Quote gegenüber 1985 nochmals fast verdoppelt worden.

Aus dem Erfahrungsbericht Hagen geht hervor, es handelte sich nicht um eine kontinuierliche Steigerung. Nach anfänglicher Zunahme war ein deutliches Abflachen der Auftragszahlen zu verzeichnen. Bei Kapitalstrafsachen und bei schweren Sexualdelikten blieb der Gerichtshilfe-einsatz verhältnismäßig gering.

Zu dem bisherigen Ergebnis bemerkte der GenStA:

  • die Dezernenten arbeiten vornehmlich tatbestands- und weniger rechtfolgenbezogen
  • die Dezernenten empfinden den Gerichtshilfe-Einsatz eher als störend, weil hierdurch der Verfahrensabschluss in der Regel verzögert werde.

So wörtlich weiter:

„Im übrigen setzt aber eine Anhebung der Einsatzquote im Ermittlungsverfahren in erster Linie eine Änderung der Haltung der Dezernenten gegenüber der Gerichtshilfe voraus.

Dazu haben die bisherigen Hinweise bei Dienstbesprechungen sowie Kontakte zwischen den Dezernenten und den Gerichtshelfern bislang den gewünschten Erfolg nicht erbracht. Deshalb erscheint der in beiden Modellversuchen gewählte Weg, die Beauftragung der Gerichtshelfer durch Hausverfügung für bestimmte Verfahren bzw. Verfahrensabschnitte anzuordnen und diese Anordnung mit Kontrollmechanismen zu verbinden, zumindest im Sinne eines Einstiegseffektes („learing by doing“) grundsätzlich richtig.“

Wörtlich an anderer Stelle weiter:

„Wird unter diesen Aspekten nach praktikablen Ansatzpunkten für die Einschaltung der Gerichtshilfe im Ermittlungsverfahren gesucht, so bieten sich delikts-, personen-, verfahrens- und rechtsfolgenbezogene Kriterien an.

Soll aber spezifisch der Einsatz der Gerichtshilfe im Ermittlungsbereich gesteigert werden, so müssen diese Kriterien gegenüber der Regelung in der AV verfeinert und so bestimmt gefasst werden, dass sie wirken und überprüft werden können. Dabei muss eine solche Regelung – damit sie überhaupt angenommen wird und einen „Einstiegseffekt“ entfalten kann – an den Bedingungen staatsanwaltschaftlicher Arbeit orientiert sein.

Schließlich darf das Raster für die Einschaltung der Gerichtshilfe im Ermittlungsverfahren aber auch nicht so grob sein, dass das Prinzip des sinnvollen Einsatzes der Gerichtshilfe (sowohl aus der Sicht des Dezernenten als auch aus derjenigen des Gerichtshelfers) unterlaufen wird. Nicht zuletzt muss auch die Gesamtarbeitsbelastung der Staatsanwaltschaft und der Gerichtshilfehilfsdienststellen bei Maßnahmen zur Steigerung ihres Einsatzes im Ermittlungsbereich bedacht werden.

Auf der Grundlage dieser Überlegungen und der Erfahrungen mit beiden Modellversuchen halte ich in Ergänzung der AV vom 8.3.1979 und zur Fortführung des Modellversuchs derzeit nachfolgende Regelung für den Einsatz der Gerichtshilfe im Ermittlungsverfahren für sinnvoll und zweckmäßig:

Bereits vor Anklageerhebung ist die Gerichtshilfe – nach Maßgabe von Abschnitt III. – durch möglichst frühzeitige Erteilung gezielter Aufträge – ggfls. parallel zu weiteren Ermittlungen einzuschalten.

In den geschilderten Fällen kann von der Beauftragung der Gerichtshilfe ausnahmsweise und möglichst nur nach Anhörung des zuständigen Gerichtshelfers abgesehen werden. Die Gründe für die Annahme eines Ausnahmefalls bzw. für den Verzicht auf eine Fühlungsnahme mit dem Gerichtshelfer sind in den Handakten zu vermerken. Dieser Vermerk ist dem Abteilungsleiter zur Kenntnisnahme vorzulegen.

Die Regelung beruht auf dem Grundgedanken, dass in bestimmten Ermittlungsverfahren die Gerichtshilfe frühzeitig eingesetzt werden muss.

Diese „Gesprächslösung“ ist eines der Kernstücke des neuen Modellentwurfs. Sie hat eine doppelte Zielrichtung: Zum einen sollen auf diese Weise aus dem Katalog des Abschnitts I. diejenigen Verfahren herausgefiltert werden, in denen – aus welchen Gründen auch immer – der Einsatz der Gerichtshilfe  im Ermittlungsverfahren nicht sinnvoll wäre; zum anderen sollen Dezernenten und Gerichtshelfer nach Möglichkeit miteinander – aber ohne dass dem Gerichtshelfer ein „Mitbestimmungsrecht“ eingeräumt wird – in das Gespräch gebracht werden, damit – auch über das Einzelverfahren hinaus – das gegenseitige Verständnis wächst und dies in die Haltung der Dezernenten bei der Erteilung von Aufträgen an die Gerichtshilfe insoweit einfließt.

Auf ein Kontrollinstrument kann noch nicht verzichtet werden. Dafür ist der Handaktenvermerk gemäß Abschnitt III. 1. der vorgeschlagenen Regelung vorgesehen, der nicht umfangreich sein braucht, aber zur Absicherung dieses Kontrollinstruments und des gesamten Modellverfahrens dem Abteilungsleiter vorgelegt werden muss.

Ein Hindernis für die frühzeitige Einschaltung der Gerichtshelfer im Ermittlungsverfahren ergibt sich aus der Befürchtung der Dezernenten, dass hierdurch der Abschluss des Verfahrens verzögert werden könnte. Deshalb ist zunächst in Abschnitt I. des Katalogs ausdrücklich auf die Möglichkeit paralleler Ermittlungen hingewiesen worden. Insbesondere nach einem Gespräch mit dem Gerichtshelfer wird der Dezernent häufig in der Lage sein, einen gezielten Auftrag (ggfls. mit Teilablichtungen) gesondert zu erteilen; die Akte selbst steht dann zur Durchführung (paralleler) Ermittlungen weiterhin zur Verfügung Abgesehen davon muss aber eine gewisse Verzögerung hingenommen werden, weil und soweit durch die Einschaltung der Gerichtshilfe die Qualität der staatsanwaltschaftlichen Entscheidung dadurch verbessert wird, dass der gesetzliche Auftrag aus § 160 Abs 3 S. 1 StPO stärker Berücksichtigung findet.”

Auch diese Stellungnahme beleuchtet klar welche Problemlagen zum damaligen Zeitpunkt bestanden aber beschreibt gleichzeitig wie die Zusammenarbeit abgesichert umgesetzt werden kann. Auf die jetzigen Rahmenbedingungen bezogen – die Gerichtshilfe ist nicht mehr Teil der Staatsanwaltschaften und somit extern mit der Bewährungshilfe zu einem Sozialdienst im Zuständigkeitsbereich der Landgerichte verbunden worden – müssen klare verbindliche sowie überprüfbare Festlegungen erfolgen. Diese dürfen sich nicht alleine auf die Sozialarbeiter beschränken.

R.D. Hering