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Reaktionen und Konsequenzen nach Staufen – Prozess vor dem LG Freiburg

In BW hat der Ministerpräsident Kretschmann nach den Urteilen im Freiburger Missbrauchsprozess eine umfangreiche Aufarbeitung und Verbesserungen angekündigt. Zumindest bei den

beteiligten Ämtern – einschließlich der Justiz – und Behörden wurden schwere Versäumnisse festgestellt. Fehler sollen schonungslos aufgearbeitet werden.

Der Fall hat bundesweit Aufsehen erregt und wurde in allen Medien über Monate dargestellt. Dennoch müssen wir in der schnelllebigen Zeit damit rechnen, die Aufmerksamkeit wird von

dem überwiegenden Teil unserer Gesellschaft verdrängt werden. Neue, andere Ereignisse werden unsere Wahrnehmung und Wachheit sowie die Handlungen der Justizministerien

beeinflussen.

Da bei der gesetzlichen Verankerung der GERICHTSHILFE in der StPO und den Ausführungen über den Einsatz im Ermittlungsverfahren insbesondere auf die Delikte gegen die

sexuelle Selbstbestimmung als Zielgruppe für Persönlichkeitsberichte verwiesen wird, sollten wir in allen Bundesländern nachdrücklich und ausdauernd unsere Stimme

erheben.

Politiker werden m. E. nur dann deutlich aufnahmebereiter wenn es  Wahlen gibt. Die Parteien stellen ihre Wahlkampfthemen viele Monate vorher  in ihren Gremien

zusammen. Dieses bedeutet aktuell den Themenbereich Soziale Strafrechtspflege findet wir z. B. in den Programmen der Parteien in Hessen wie auch Bayern nicht. Unter dem Punkt Sicherheit wird

die personelle Ausstattung der Polizei hervor gehoben. Prävention und zumindest Hinweise auf eine Verbesserung des Opferschutzes gehen da unter.

Nachdem 2019 mehrere Landtagswahlen anstehen empfiehlt es sich  unsere Themen umgehend an die Parteien und ihre Vertreter zu richten. ES gilt verstärkt Medienarbeit zu beginnen, Organisationen

zu informieren, zur Beteiligung aufzurufen die gleichfalls im Umfeld der sozialen Strafrechtspflege engagiert sind.  Andere Gruppen aus der Wirtschaft und Industrie werden nachdrücklich ihre Wünsche

und Forderungen anmelden. Es gilt möglichst umgehend Themen wie das nachfolgend Beschriebene im Bewusstsein der Öffentlichkeit zu halten und auf allen Ebenen Verbesserungen zu fordern.

Selbstläufer werden wir nicht erwarten dürfen.

ADG-Präsidium

 

Konsequenzen nach Staufen

Herrn
Justizminister Guido Wolf
Justizministerium Baden-Württemberg
Schillerplatz 4
70173 Stuttgart

Effektivität – Effizienz sind Voraussetzung für die justiziellen Abläufe und Ergebnisse im Ermittlungs- und Strafverfahren.

Sehr geehrter Herr Minister Wolf,

der Strafprozess vor dem Landgericht Freiburg um den Missbrauch eines Kindes endete mit dem Urteil gegen die Mutter des Opfers und deren Lebensgefährten. Abgeschlossen ist dieser Fall insofern nicht, als nötige Schlüsse daraus gezogen werden müssen. Ämter und Behörden, die mitverantwortlich für den Schutz von Kindern sind, haben Versäumnisse aufzuarbeiten. Fehler müssen offensiv benannt und zukünftig vermieden werden. Die Gefahr von Wiederholungsfällen ist durch aktive Veränderungen/Verbesserungen zu minimieren. Die Justiz kann/sollte hierzu einen erheblichen Beitrag leisten, was in den zurückliegenden Jahrzehnten durch den Einsatz der Gerichtshilfe im Ermittlungsverfahren nachweislich geschehen ist. Die Privatisierung der Sozialen Dienste der Justiz allerdings hat diese positiven Effekte deutlich vermindert.

Das Justizministerium kann und sollte diesbezüglich richtungsweisende Aufgabenstellungen vorschreiben. Dabei handelt es sich im Wesentlichen nur um Aufgabenverlagerungen bei den Sozialarbeitern. Die beim Ministerium liegende Richtlinienkompetenz müsste nur zu verbindlichen Vorgaben über die Generalstaatsanwaltschaften an die Behördenleitungen der Staatsanwaltschaften führen, denn bloße „Empfehlungen“ können eine landeseinheitliche Umsetzung langfristig nicht sichern.

Hierzu folgen in Auszügen einige kurze Hinweise, die ausschließlich aus der Justiz von BW stammen:

Juli 1974, Kommissionsbericht JM: „das Bild der Gerichtshilfe von morgen wird nämlich geprägt sein von dem Umstand, inwieweit sie schon im Ermittlungsverfahren angewandte Kriminaldiagnostik treiben kann. Die Kenntnis von Persönlichkeit und Lebensführung des Straffälligen ist vor dem Urteilsspruch, in dem es darum geht, zu welcher Strafe oder Maßnahme gegriffen wird, besonders bedeutsam. Sie kann schon dem Staatsanwalt entscheidende Hinweise für die weitere Steuerung des Ermittlungsverfahrens geben.“
30.12.1984, Hausverfügung Nr.9 des Lt.OSTA Dr. Herrmann, STA Tübingen, dem späteren GenSTA in Stuttgart: Befund der sehr unterschiedlichen Beiziehung der Gerichtshilfe bei der Staatsanwaltschaft Tübingen: „Während sie (GH) beispielsweise bei Delikten gegen das Leben und nach dem Betäubungsgesetz sehr häufig hinzugezogen wird, fällt auf, dass sie im Bereich der Sittlichkeitsdelikte unterdurchschnittlich beteiligt wird.

Gerade auf diesem Gebiet sind aber Feststellungen über Ursachen und Beweggründe für das strafbare Verhalten und über Aussichten, Ansatzpunkte und Einwirkungsmöglichkeiten für eine künftige geordnete Lebensführung des Beschuldigten von großer Bedeutung. Es „wird deshalb angeordnet, dass ab 1.1.87 in der Regel bei folgenden Straffällen ein Gerichtshilfebericht anzufordern ist:“ Nachfolgend wurden die Delikte aufgelistet, u.a. sex. Missbrauch von Schutzbefohlenen, sex. Missbrauch von Kindern, Vergewaltigung, sex. Nötigung, sex. Missbrauch Widerstandsunfähiger und weitere Delikte.
22.März 1994, Pressemitteilung des JM, Justizminister Dr. Thomas Schäuble anlässlich der bestandenen Zusatzausbildung der Gerichtshelfer in der „Methodik der Persönlichkeitserfassung Straffälliger“. Hierzu weiter der Justizminister: „dass im Unterschied zu anderen Bundesländern in Baden-Württemberg Praxis sei, die Kompetenz der Gerichtshelfer bereits für die Schlußverfügung der Staatsanwaltschaft zu nutzen. Er denke dabei besonders an Sexual- und Tötungsdelikte; weiter: „mir ist sehr daran gelegen, dass die Gerichtshilfe richtig und effektiv eingesetzt wird“.

Auch wenn nunmehr in BW andere Strukturen für die Organisation der Sozialen Dienste der Justiz eingeführt wurden, verbleibt die Möglichkeit, die mit Gerichtshilfeaufgaben betrauten Sozialarbeiter neuerlich verbindlich für die beschriebenen Aufgaben einzusetzen. Wir wollen noch einmal betonen, dass bloße „Empfehlungen“ des Justizministers nicht reichen, nur bindende Vorgaben an die Staatsanwälte, gestützt auf die Richtlinienkompetenz des Ministeriums, können eine landesweite Einhaltung gewährleisten.

Wir werden durch diese Vorschläge nicht Straftaten generell verhindern können, jedoch bei ersten Auffälligkeiten gezieltere Erkenntnisse den Staatsanwälten und Richtern ermöglichen. Dies zeigen die bisherigen Ergebnisse bei der frühzeitigen Hinzuziehung der Gerichtshilfe.
Es kann als gesicherte Tatsache gelten, dass auffällige Täter nicht plötzlich und ohne vorherige Auffälligkeiten da sind, im Gegenteil: die sozialen „Schleifspuren“ dieser potenziellen Täter sind für Fachleute aus der Justiz und der Sozialarbeit bei genauem Hinsehen gut zu erkennen und zu beurteilen.
Für weitere Nachfragen und Ausführungen mit entsprechenden Belegen können Sie gerne auf uns zukommen und selbstverständlich auf unsere Mitarbeit zählen.
Mit freundlichen Grüßen
Rainer-Dieter Hering

 

Sehr geehrter Herr Hering,

vielen Dank für Ihre E-Mail vom 11. August 2018, mit der Sie sich nach den aus dem erschütternden sog. „Staufener Missbrauchsfall” zu ziehenden Konsequenzen erkundigen. Ich stimme mit Ihnen überein, dass nach der erstinstanzlichen strafrechtlichen Aufarbeitung vor dem Landgericht Freiburg auch zu prüfen ist, ob und ggf. wie die Strukturen und Abläufe im Bereich der beteiligten Behörden und Gerichte verbessert werden können.

Zu diesem Zweck wurde seitens des Ministeriums für Soziales und Integration eine interministerielle Arbeitsgruppe eingesetzt, an der auch das Ministerium der Justiz und für Europa beteiligt ist. Eine Überprüfung der Verfahrensabläufe erfolgte zudem durch einen „Runden Tisch” des Oberlandesgerichts Karlsruhe, des Amtsgerichts Freiburg und des Landratsamts Breisgau-Hochschwarzwald. Der Abschlussbericht des „Runden Tisches” wurde am 6. September 2018 der Öffentlichkeit vorgestellt. Mit etwaigen aus dem „Staufener Missbrauchsfall” zu ziehenden Konsequenzen wird sich nunmehr eine aus Vertretern mehrerer Ministerien und externen Experten bestehende Kinderschutzkommission unter Leitung des Ministers für Soziales und Integration befassen.

Soweit Sie anregen, dass das Ministerium der Justiz und für Europa den Staatsanwaltschaften durch Erlass verbindliche Vorgaben für die Zusammenarbeit mit der Bewährungs- und Gerichtshilfe Baden-Württemberg machen soll, möchte ich den weiteren Prüfungen nicht vorgreifen. Sollte die Analyse der Abläufe und Strukturen im Fall Staufen ergeben, dass auch bezüglich der Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaften und Gerichtshilfe Änderungsbedarf besteht, werden wir diesen gemeinsam mit den beteiligten Akteuren umsetzen.

Die von Ihnen in diesem Zusammenhang angesprochenen „Empfehlungen” gehen auf eine Besprechung von Vertretern der Staatsanwaltschaften mit der damals mit der Bewährungs- und Gerichtshilfe betrauten Neustart gGmbH im Jahr 2007 zurück. Im Zusammenhang mit den Konsequenzen aus dem Missbrauchsfall in Staufen werden wir auch die Zusammenarbeit der Staatsanwaltschaften und der Gerichtshilfe in den Blick nehmen und diese im Rahmen der nächsten Dienstbesprechungen erneut thematisieren.

Mit Ihnen bin ich der Meinung, dass die Bewährungs- und Gerichtshilfe einen äußerst wertvollen Beitrag im Bereich der Strafrechtspflege leistet, damit Staatsanwaltschaften und Gerichte zu einer angemessenen strafrechtlichen Reaktion gegenüber den Beschuldigten und Angeklagten gelangen, die zugleich den Geschädigten gerecht wird.

Mit freundlichen Grüßen

Guido Wolf MdL

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