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Auseinandersetzung über die Gerichtshilfe in Hessen

In Hessen hat das Justizministerium 2016 begonnen in den Landgerichtsbezirken Darmstadt und Limburg unter der Überschrift “Pilotprojekt” die getrennt organisierte Bewährungs- und Gerichtshilfe zu einem gemeinsamen Sozialdienst der Justiz bei den Landgerichten neu zu ordnen.
2017 kamen weitere Dienststellen in mehreren Landgerichtsbezirken hinzu. 2022 soll die Organisationsveränderung abgeschlossen werden. Hierzu bedarf es der Mitwirkung des Parlaments denn das „geltende“ Landesgesetz über die Bewährungshilfe, Gerichtshilfe und der Führungsaufsicht muss durch ein neues Gesetz vom Landtag beschlossen und danach verkündet werden.

Arbeitsgemeinschaft Deutsche Gerichtshilfe  e.V. LAG Hessen

Hessisches Ministerium der Justiz                                                                    5. November 2021
Postfach 3169

Entwurf eines Gesetzes über die Organisation der Sozialen Dienste der Justiz und der Führungsaufsicht
Erlass vom 06.04.2021 – 4226/1 – III/2 – 2020/19208 – II/A

Sehr geehrter Herr Staatssekretär Metz,

vielen Dank für Ihr Schreiben vom 6.4.2021, eingegangen am 12.4.2021.
Gerne möchte ich die Gelegenheit zur einer Stellungnahme der Landesarbeitsgemeinschaft der Gerichtshilfe Hessen nutzen.

Da die geplante Gesetzesänderung die Voraussetzungen für die Zusammenlegung für Gerichts- und Bewährungshilfe darstellt, erlauben wir uns zu der inhaltlichen Begründung der Gesetzesänderung Stellung zu nehmen.

Die Initiative stützt sich auf 6 Teilbereiche, welche im Wesentlichen auch als Begründungen für die Durchführung der Pilotprojekte angeführt wurden:

- Verbesserung der Vertretungssituation, insbesondere im Arbeitsfeld Gerichtshilfe
- Qualitative Verbesserung der Gerichtshilfeberichte durch Einsatz der Kolleg*innen aus dem Sicherheitsmanagement I und II
- Bessere Aufstiegschancen für Kolleg*innen der Gerichtshilfe
- Bessere Beförderungschancen insgesamt
- Leichtere Wechselmöglichkeit zwischen den Arbeitsfeldern Bewährungs- und Gerichtshilfe
- Qualitative Verbesserung durch quantitativen Zuwachs an Kolleg*innen

Aufgabe der Pilotprojekte war es zu erproben, ob die theoretischen Überlegungen, welche durchaus ihre Berechtigung hatten, in der Praxis tatsächlich ihren Niederschlag finden würden.
Wie die Evaluation der ersten Pilotprojekte in Darmstadt und Limburg im Jahr 2016 ergab, traten weder die erhofften Synergieeffekte ein, noch wurden die speziellen Kenntnisse der Mitarbeiter*innen des SIMA I oder II von den Staatsanwaltschaften im Rahmen von Ermittlungsverfahren abgefragt.
Die Zusammenarbeit mit den Staatsanwaltschaften verschlechterte sich und wurde so auch in der Evaluation deutlich.

Die Frage bessere Aufstiegs- und Beförderungschancen blieb offen, denn durch den Status der Abordnung wurden Leitungsaufgaben an Gerichtshelfer*innen nur „kommissarisch“ übertragen.

Um mehr Informationen zu sammeln und einen besseren Überblick über die langfristige Entwicklung zu bekommen, wurde der Pilot zum 1.11.2017 auf die Landgerichtsbezirke Hanau, Fulda, Marburg und Frankfurt ausgeweitet.

Auch diese Phase des Piloten sollte wissenschaftlich begleitet und ausgewertet werden.
Die Erhebungen der Universität Göttingen fanden im August/September 2019 statt.
Der offenbar im Jahr 2020 vorgelegte Evaluationsbericht ist meines Wissens weder dem Lenkungskreis als Solchem, noch einzelnen Mitgliedern zugänglich gemacht worden.

Aus den Formulierungen in der Gesetzbegründung schließe ich, dass auch diese Evaluation nicht die gewünschten Ergebnisse gebracht hat. Es werden nämlich keine Pilotergebnisse vorgetragen, sondern nur wieder Hypothese, was durch die Zusammenlegung von Bewährungs- und Gerichtshilfe möglich wäre.

Ich gehe deshalb auch davon aus, dass hinsichtlich der oft beschworenen Synergieeffekte keine neuen Erkenntnisse gewonnen wurden: Bereits im Rahmen der ersten Evaluation wurde festgestellt, dass die Schnittmenge zwischen Gerichts- und Bewährungshilfe-klient*innen relativ gering ist und sich daraus keinerlei Synergieeffekte ableiten lassen.

Auch die Idee der durchgehenden Betreuung ist nur ein theoretisches Konstrukt. Schon ohne Zusammenlegung von Gerichts- und Bewährungshilfe haben Probanden zum Teil 4-5 Bewährungshelfer in einer Unterstellung.

Was die Ausführungen zur Supervision anbelangt, so gab es schon viele Jahre gemischte Supervisionsgruppen von Bewährungshilfe und Gerichtshilfe.
Ob die Größe der Supervisionsgruppen nun eine zentrale Rolle spielt wage ich zu bezweifeln. Immerhin haben wir durch die Bereiche Sicherheitsmanagement I und Sicherheitsmanagement II ohne hin 2 Fachbereiche die neben der Allgemeinen Bewährungshilfe ihre eigenen Supervisionsgruppen bilden.

Auch für die Effektivität von Fallkonferenzen ist nicht deren Größe der Erfolgsgarant. Offenheit, Vertraulichkeit, Ernsthaftigkeit, Fachkenntnis, Kritikbereitschaft und Kritikfähigkeit sind viel wichtiger. Zudem dienen die Fallkonferenzen den Fachbereichsleitungen auch als notwendiges Kontroll- und Informationsinstrument. Der Informationsaustausch erleichtert zudem die Vertretung.
Insofern macht es auch Sinn, dass die SIMA-Mitarbeiter*innen ihre Fallkonferenzen machen, die Jugendbewährungshilfe ihre eigene usw.
Es wird deshalb auch Sinn machen, dass die Gerichtshilfe ihre Fallkonferenzen zu spezifischen Themen wie etwa „Häusliche Gewalt“ macht.

Aus den bisherigen Erfahrungen mit dem Pilotprojekt lassen sich als positive Effekte festhalten:
- Die Vertretungssituation der Gerichtshilfe Fulda hat sich entspannt.
- Der Wechsel zwischen den Arbeitsfeldern Gerichtshilfe und Bewährungshilfe ist leichter geworden. Die Durchlässigkeit hat sich erhöht.
Die negativen Effekte sind:
- Die Auftragslage bei den pilotierten Gerichtshilfen ist kontinuierlich zurückgegangen. Vor allem der Rückgang im Bereich der Berichtsaufträge belegt, dass der Wechsel zu den Landgerichten kontraproduktiv war.
- Der Wechsel zwischen der Anforderung im Rahmen der Gerichtshilfe- und der Bewährungshilfetätigkeit wird von vielen Kolleg*innen als zusätzliche Belastung erlebt.
- Die Zusammenarbeit mit den Staatsanwaltschaften hat sich qualitativ verschlechtert.
- Die Wahrnehmbarkeit von Gerichtshilfe als eigener Fachdienst innerhalb der Sozialen Dienste der Justiz geht verloren.
- Belastungsberechnungen in gemischten Dezernaten orientieren sich stark an den Fallzahlen der Bewährungshilfe. Die Gerichtshilfeaufträge werden nur noch als Beiwerk gesehen und irgendwann auch so abgearbeitet.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die guten und ehrenwerten Überlegungen die hinter der Zusammenlegung stehen, letztlich nur ein theoretisches Konstrukt sind, welches durch die Zusammenlegung von Gerichts- und Bewährungshilfe unter dem Dach der Landgerichte keine Erfüllung finden wird.
Ein Dienst wie die Gerichtshilfe, welcher lediglich ein freiwilliges Angebot an mögliche Auftraggeber darstellt ist stärker als andere Dienstleister auf persönliche Kontakte, persönliche Präsenz und fachliche Akzeptanz als andere angewiesen.
Wer einen effektiveren Sozialen Dienst der Justiz im Erkenntnisverfahren will, muss die Verbindlichkeit für den Einsatz von Gerichtshilfe bei den potentiellen Auftraggebern erhöhen. Dies ist durch die Anbindung bei den Staatsanwaltschaften leichter zu erreichen als durch die Zuordnung bei den Landgerichten.

Die Landesarbeitsgemeinschaft der Gerichtshilfe Hessen steht deshalb der geplanten Gesetzesänderung ablehnend gegenüber.

Eine letzte Bemerkung zum Thema der vertrauensvollen Zusammenarbeit. Unseres Erachtens gehört hierzu auch ein offener Umgang mit entscheidungsrelevanten Informationen, in diesem Fall dem letzten Evaluationsbericht aus dem Jahre 2020.

Mit freundlichen Grüßen
Dietmar Kliewer
LAG-Vorsitzender

Aus der Stellungnahme der LAG der Gerichtshilfe Hessen vom 23.04.2021 ergibt sich die Vorgehensweise des Fachministeriums, die Nichtbeachtung der fachlichen Hinweise und Mängel, der nicht eingetretenen Synergieeffekte aus der ersten Phase des Probelaufes und dem blockierenden weiteren Umsetzungsschritten des Ministeriums.
Auch die Landesarbeitsgemeinschaft der Hessischen Bewährungshelfer*innen kommt in ihrer Stellungnahme zu der Aussage : fachlich kann keine nachhaltige Verbesserung der Arbeitsbereiche durch die Organisation der Sozialen Dienste erreicht werden. Vielmehr werden neue Spannungsfelder entstehen.

Erst nachdem die Verantwortlichen des Hessischen Ministerium der Justiz sich einer inhaltlichen Diskussion mit den betroffenen Landesarbeitsgemeinschaften nicht stellen wollten, ein offener Umgang mit entscheidungsrelevanten Informationen unterblieb hat sich die Arbeitsgemeinschaft Deutsche Gerichtshilfe (ADG) mit den Fraktionen des Hessischen Landtag in Verbindung gesetzt. Nicht nur die jahrzehntelange Zurückhaltung die vom Bundesgesetzgeber vorgegebenen Hinzuziehung der bei den Staatsanwaltschaften angegliederten Gerichtshilfe im Ermittlungsverfahren tätig zu werden, deutlichster Feststellungen in der Strafprozessordnung, dem Großkommentar Löwe-Rosenberg zur StPO sowie Hinweisen des Bundesgerichtshofs sondern insbesondere die undemokratische Vorgehens- und Verfahrensweise des Ministeriums ist der Grund unserer Kritik.

Wir erwarten vom Landtag eine genaue Prüfung und eigenständige Entscheidung.

In Rheinland – Pfalz haben bei einer vergleichbaren Situation alle Fraktionen nach einer gründlichen Prüfung die Ausarbeitungen des Justizministeriums verworfen und eine eigene Entscheidung getroffen.
In Hessen haben sich die Fraktionen der Regierungsparteien nicht zu unseren Ausführungen und Vorhalten geäußert. So der Stand Anfang November 2021.

ADG Arbeitsgemeinschaft Deutsche Gerichtshilfe e. V.

An die Fraktionen im Hessischen Landtag
65022 Wiesbaden

Geplante Gesetzesänderung

Entwurf eines Gesetzes über die Organisation der Sozialen Dienste der Justiz in Hessen.     Juli 2021

Sagen sie NEIN zu der Gesetzesvorlage! Warum?
Hinweise + Fakten können unseren Darstellungen und den Medienberichten über die sexuellen Missbrauchs-fällen in Münster, Lügde, Staufen entnommen werden.

Alles hat seine Tiefen.
Wer Augen hat, der sieht alles in allem.
Georg Christoph Lichtenberg, Naturwissenschaftler und Schriftsteller

Sehr geehrte Abgeordnete,
demnächst wird das Ministerium der Justiz dem Parlament eine Gesetzesänderung vorlegen, um hierdurch die angestrebte Änderung für die Zusammenlegung der Gerichts- und Bewährungshilfe zu erhalten.
Wir von der ADG tragen Sorge, dass das vom Bund verabschiedete Gesetz zur Gerichtshilfe in Hessen keine adäquate Anwendung findet. Daher wenden wir uns an Sie, die Abgeordneten, und an Ihre Fraktionen mit den Informationen, die wir für eine Sachentscheidung über die Gerichtshilfeaufgaben und für die Strafrechtspflege für unverzichtbar halten.
Bei der Fülle der Aufgaben, die von Ihnen und Ihren Fraktionen zu erfüllen sind, dürfte es schwierig sein, neben der Vorlage des Entwurfes und den vom JM dargestellten Gründen auch die darüber hinausgehenden Hintergründe, Erfahrungs- und Untersuchungsberichte zur Kenntnis zu nehmen. Dabei denken wir insbesondere an die Ergebnisse der ersten Pilotprojekte in Darmstadt und Limburg, die von 2016 an erhoben worden sind.
Wir erinnern in diesem Zusammenhang daran, dass Bundestag und Bundesrat (zustimmungspflichtiges Gesetz)
-1974 die GERICHTSHILFE bundesgesetzlich in der Strafprozessordnung, §160 abs.3 verankert hat,
- dass die Länder in Artikel 294 des EGStGB die Zugehörigkeit zum Geschäftsbereich der Landesjustizverwaltungen bestimmten,
- dass nachfolgend alle Bundesländer den vorrangigen Gerichtshilfeeinsatz im Ermittlungsverfahren in den Landesgesetzen bzw. den Verordnungen/Allg. Verfügungen festlegten.

Diesbezüglich fehlt es in Hessen an entsprechenden Initiativen des Ministerium für Justiz und der verwaltungsmäßigen Vorgaben die zu einer Beauftragung der Gerichtshilfe führen und deren Zuarbeit einfordern.

In anderen Bundesländern gab es demgegenüber sowohl von den Fachministerien wie von  den Generalstaatsanwaltschaften und den Lt. Oberstaatsanwälten Anregungen und  Verfügungen, die der Gerichtshilfe entsprechende Aufgaben im Ermittlungs- und Vorverfahren zuweisen.

In überschaubaren Darstellungen möchten wir in den folgenden Wochen jeweils einen Aspekt in einem Informationsschreiben in knapper und überschaubarer Form darbieten. Entsprechend der Aussage von G. Ch. Lichtenberg sollen Sie in die Lage versetzt werden, Fakten, Ziele und Ergebnisse zu bewerten, die nicht explizit in der geplanten Gesetzesänderung ausgebreitet sind.
Das angestrebte Gesetzesvorhaben wird in beträchtlichem Umfang die Arbeitsfelder von Diensten, Institutionen und Fachleuten in anderen Organisationen tangieren und Arbeitsziele der Gerichtshilfe nicht ermöglichen.
Entsprechende Beiträge und Fakten  wollen wir Ihnen rechtzeitig anbieten, deren Kenntnisnahme und Berücksichtigung wir bei Ihnen im Rahmen Ihrer Entscheidungen im Landtag erbitten.
Dieses erste Schreiben dient dem Zweck, Sie auf  unsere Beiträge hinzuweisen, durch die wir unser Anliegen vorstellen und darlegen wollen.

Im nachfolgenden Schreiben gehen wir auf die Aufgaben der Exekutive und die tatsächlichen Vorgehensweisen sowie die abrufbaren Urteile des Bundesgerichtshofes zum Einsatz der Gerichtshilfe ein.

Mit freundlichen Grüßen
Rainer – Dieter Hering
ADG- Präsidium

 

Anschreiben Nr.2 Landesjustizverwaltung und die Aufgabenstellung    12. Juli 2021

Vorgaben und Realitäten

Geplante Gesetzesänderung bezüglich der Organisation der Sozialen Dienste der Justiz

Der Bundesgesetzgeber (hier Bundestag + Bundesrat) hat die Gerichtshilfe in §160 Abs. 3 StPO gesetzlich verankert. Die Zugehörigkeit zum Geschäftsbereich der Landesjustizbehörden wurde vorgegeben. Der Einsatz der Gerichtshilfe ist vorrangig im Ermittlungsverfahren vorgesehen. Die Staatsanwaltschaft ist die Herrin dieses Verfahren. Daher wurde dieser Dienst – ohne Betreuungsschwerpunkte – Teil der Ermittlungsbehörde.
Den Landesjustizverwaltungen obliegt  die Organisation aller Sozialdienste der Justiz, damit auch die Regelung der Personalangelegenheiten, unabhängig von den unterschiedlichen Anbindungen zu den Gerichten, Staatsanwaltschaften und Vollzugsanstalten. Dies geschieht durch Verfügungen, allg. Anordnungen und  Ausführungsbestimmungen. Auch beschreiben entsprechende Landesgesetze näheres über die den einzelnen Diensten zugeschriebenen Arbeitsbereiche.

Es ist die klassische Aufgabe der Exekutive die Umsetzung und Ausführung von Gesetzen, die von der gesetzgebenden Gewalt vorgegeben werden, zu vollziehen und deren Umsetzung zu sichern. Die mit den Gesetzen verbundenen Aussagen und Ziele sind auszuführen und durch geeignete Anordnungen abzusichern.
Gemäß Artikel 20 Abs.3 GG ist die Exekutive nach dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit an Gesetz und Recht gebunden.
In den Bundesländern bilden die Landesregierungen, die Landesverwaltungen, Polizei und die Staatsanwaltschaften die Organe der Exekutive. Neben der Ausführung der Landesgesetze ist die Exekutive auch für den Vollzug der Bundesgesetze verantwortlich.

Die eingetretene Entwicklung zeigt in mehreren Bereichen eine Veränderung und Ausweitung mit Zuschreibungen, Unterlassungen und/oder Abänderungen der bundesgesetzlichen Vorgaben. So auch bei der Aufgabenbeschreibung und Zielvorgabe gemäß der Strafprozessordnung und den Ausführungen in den Kommentaren zum Strafgesetzbuch und der Strafprozessordnung (Leipziger Kommentar, Löwe-Rosenberg, Kleinknecht u.a.).

Weitere Ausführungen / Aussagen finden sich in diversen Veröffentlichungen, von Dietrich Rahn, Lt. OSTA Wiesbaden, später Leiter der STA Frankfurt, Karl-Heinz Groß, JM Hessen, Alfred Bozi, Bielefeld, Franz v. Liszt, 1905, Berlin.

Bundesratsdrucksache 346/1/70 – Begründung des Gesetzesentwurfs des Bundesrats zur bundesgesetzlichen Verankerung der Gerichtshilfe, S.7,8

Ausführungen des Bundesgerichtshofs:

-       „ Ohne die Kenntnis der Täterpersönlichkeit lässt sich weder das Maß der persönlichen Schuld eines Täters noch maß und Art seiner Resozialisierungsbedürftigkeit, insbesondere nicht seine Strafempfindlichkeit beurteilen. BGHSt 7,28,31

-       „ Die Opferberichterstattung durch die Gerichtshilfe stellt ein wichtiges strafprozessuales Element dar, um der Subjektrolle des Opfers im Strafverfahren angemessen Geltung zu verschaffen. BGH-Beschluss v 26.09.2007 – 1StR 276/07

Großkommentar Löwe-Rosenberg zur StPO und das Gerichtsverfassungsgesetz;

-       Die Gerichtshilfe ist kein zusätzlicher Betreuungsdienst, sondern vorrangig eine soziale Ermittlungshilfe für die Strafjuristen.

Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft sollen sich auch auf die Umstände erstecken, die für die Rechtsfolgen der Tat von Bedeutung sind.

Dazu kann sie sich der Gerichtshilfe bedienen. §160 Abs.3 StPO

Rainer-Dieter Hering
ADG – Präsidium

ADG Arbeitsgemeinschaft Deutsche Gerichtshilfe e. V. Mai 2021

An die Fraktionen im Hessischen Landtag
65022 Wiesbaden

Geplante Gesetzesänderung

über die Organisation der Sozialen Dienste der Justiz

Sagen Sie NEIN zu der Gesetzesvorlage!

Anschreiben Nr.3 – Aufgabenverteilung im Ermittlungsverfahren; Polizei- STAGerichtshilfe -

Die tatsächlichen Ermittlungen zur Tat werden durch die Polizei vorgenommen. Bei neuen Ermittlungen gibt es häufig, umgehend schriftliche Meldungen an den sachbearbeitenden Dezernenten zur aktuellen Situation und Abstimmung über das weitere Vorgehen. In dieser frühen Ausgangslage regen die polizeilichen Sachbearbeiter z. B. in Fällen der „Häuslichen Gewalt“ die umgehende Beiziehung der Gerichtshilfe an. Es gilt unverzüglich mit den Konfliktbeteiligten aber auch dritten Stellen lösungsorientierte Schritte einzuleiten. Als weitere Ergebnisse der polizeilichen Arbeit ist der Hinweis auf notwendige Hilfestellungen der Opfer durch die Gerichtshilfe gegeben. In Abkehr der klassischen Aufgabenverteilung mit der Übergabe nach Aufgabenabschluss an die nächste Sachbearbeitung durch die STA, hat sich eine vernetzte Zusammenarbeit auf Grund aktueller Notwendigkeiten entwickelt. Diese Fortentwicklung mit einer angestrebten frühzeitigen Zusammenarbeit zwischen Polizei – STA – Gerichtshilfe hat sich bundesweit sehr nachhaltig entwickelt. In Hessen kamen die Anregungen und Versuchsreihen durch Praktiker aus den Reihen der Staatsanwälte, der Gerichtshilfe und von Außenstehenden zur Anwendung.

Alle Erkenntnisse werden der Staatsanwaltschaft als Herrin des Ermittlungsverfahrens zur Prüfung und weiteren Entscheidung vorgelegt. Diese kann zur besseren Einschätzung der Täterpersönlichkeit nach §160 Abs.3 StPO die Gerichtshilfe mit der Erstellung eines Persönlichkeitsberichtes und/oder einem Opferbericht beauftragen. Dieses sollte zu einem frühen Zeitpunkt – noch vor der staatsanwaltlichen Endverfügung – geschehen, damit mögliche Erkenntnisse rechtzeitig Berücksichtigung finden.
Um diese Ergebnismöglichkeiten voll ausschöpfen zu können, zumal die Gerichtshilfe eine soziale Ermittlungshilfe ist – wurde dieser Dienst organisatorisch den Staatsanwaltschaften zugeordnet.
Somit sind die Polizei, die Gerichtshilfe und die Staatsanwaltschaft gemeinsam Teil der Exekutive.
Im Ermittlungsverfahren erfolgen Entscheidungen ob und wenn ja wie Verfahren fortgesetzt werden. So liegt es in der Entscheidung des Dezernenten/der Dezernentin ob eine Einstellung mit oder ohne Auflagen verfügt wird, ein Strafbefehl beantragt oder Anklage erhoben wird. Im letzteren Fall wo ( Amtsgericht- Einzelrichter oder Schöffengericht-, Landgericht) das Verfahren fortgesetzt werden soll. Derartige Entscheidungen sind sowohl von der Tat als auch von der Beurteilung der Täterpersönlichkeit her zu treffen (siehe BGHSt 7,28,31).

Sehr deutlich wird im Großkommentar Löwe – Rosenberg zur StPO  und das Gerichtsverfassungsgesetz beschrieben:
-       „ Die Gerichtshilfe ist kein zusätzlicher Betreuungsdienst, sondern vorrangig eine soziale Ermittlungshilfe für die Strafjuristen.“
Folgerichtig
wurde sie deshalb, wie bei der Einführung in Hessen den Staatsanwaltschaften zugeordnet. Die nunmehrige Organisationsveränderung, die Zusammenlegung mit der Bewährungshilfe in einem „Sozialen Dienst der Justiz“ mit der Anbindung an die Landgerichte und Entkoppelung von den Staatsanwaltschaften unterstreicht und stellt deutlich heraus die Beiziehung der Gerichtshilfe im Ermittlungsverfahren wurde und wird vom Ministerium der Justiz nicht gesehen, ignoriert oder bewusst entgegen der Zielvorstellung des Bundesgesetzgebers unterlaufen.

Effektivität und Effizienz in der Strafrechtspflege sollten auf Grund der finanziellen Lage der öffentlichen Hand eine hohe Berücksichtigung erreichen. Verfahren können durch die Beiträge der Gerichtshilfe im ERMITTLUNGSVERFAHREN kürzer, genauer und mit geringeren Zeitverbrauch und Arbeitseinsatz von Mitarbeitern ( nicht nur Juristen ) erreicht werden.

Rainer-Dieter Hering
ADG – Präsidium

 

Anschreiben Nr.4 – Anspruch und Absicherung im Ermittlungsverfahren  – Juni 2021

Geplante Gesetzesänderung über die Organisation der Sozialen Dienste der Justiz

Sagen Sie NEIN zu der Gesetzesvorlage!

Anspruch – Vorgaben

Um die Wende zum 20.Jahrhundert vollzog sich in der deutschen Strafrechtswissenschaft ein Wandel. Der bis dahin beherrschende Gedanke vom Vergeltungscharakter der Strafe sah sich nun mit einer soziologischen Auffassung vom Wesen der Strafe konfrontiert. Die von Franz v. Liszt geführte Strafrechtsschule erkannte in dem Verbrechen und der Strafe eine Erscheinung der sozialen Wirklichkeit und deutete sie als Phänomen des sozialen Lebens und des einzelmenschlichen Schicksals. Aufbauend auf dem Gedankengut vom Zweckcharakter der Strafe, stand seither bei der  Bestrafung des Rechtsbrechers nicht mehr.
Allein die Tat als normverletzender Vorgang im Mittelpunkt, vielmehr galt es,  die Tat eines bestimmten, durch seine persönliche und soziale Eigenart geprägten Täters zu beurteilen. Die Strafe stellte deshalb nicht mehr allein Vergeltung und Sühne für das begangene Unrecht dar, sondern sollte auch der Besserung des Straffälligen und den Schutz der Gesellschaft vor dem Rechtsbrecher bezwecken.

Diese Zielsetzung und die Schaffung der Gerichtshilfe entstand durch Juristen, die davon ausgingen, dass im Zusammenhang mit einem noch laufenden, nicht abgeschlossenen Strafverfahren, täterbezogene Informationen für die Anwendung des Strafrechtes unbedingt notwendig wären. Ab 1915 entwickelten sich zuerst in Bielefeld (Bozi), später in Halle, 1922 in Kassel (Lt. STA Noetzel) und danach im ganzen Reich Gerichtshilfestellen. Die amtlichen Gerichtshilfestellen wurden organisatorisch in die Justizbehörden eingegliedert. Nach Ansicht der Richterschaft sollte die Gerichtshilfe als Rechtseinrichtung alleine den Belangen der Strafrechtspflege dienen. Deshalb finden sich in den Landesgesetzen wie auch den Dienstordnungen klare Aussagen zu den „Aufgaben“ die Formulierungen wie „hat in erster Linie“ bzw. „vorrangig“ im Rahmen des  Ermittlungsverfahrens …. zu berichten.

Ferner kann die Gerichtshilfe im Nach- und Vollstreckungsverfahren zur Vorbereitung von Entscheidungen herangezogen werden.

In den Ausführungen in den Landesgesetzen bzw. Allgemeinen Verordnungen / Dienstordnungen gibt es noch einen weiteren Hinweis auf soziale Hilfen – ein Auftrag der die Arbeit der Bewährungshilfe prägt.

Es wird dort festgelegt die Gerichtshilfe kann erste Hilfsmaßnahmen einleiten.

Hierdurch wird die Abgrenzung zum Betreuungsdienst „ Bewährungshilfe“ deutlich

Und die Stufung der Gerichtshilfe – Aufgaben sichtbar.

-       Vorrangige Tätigkeit im Ermittlungsverfahren,

-       ferner im Nach- und Vollstreckungsverfahren,

-       Einleitung erster Hilfsmaßnahmen.

Absicherung
Eine landesweite Absicherung und/oder Anregung im Rahmen der Richtlinienkompetenz durch das Justizministerium – wie in anderen Bundesländern – gibt es nicht.
In Fällen der „Häuslichen Gewalt „ gibt es eine Zusammenarbeit zwischen Dezernenten einiger Staatsanwaltschaften und der Gerichtshilfe.
Bei den Sexualdelikten , ein sich anbietendes Betätigungsfeld für eine Zusammenarbeit, bleiben Beauftragungen überwiegend aus. Gerade die dortigen Beschuldigten sollten schon in Bezug auf die Prognose und mögliche notwendige Maßnahmen einschätzbarer, damit verlässlicher in ihrer Persönlichkeit erfassbarer werden.

„Ohne die Kenntnis der Täterpersönlichkeit lässt sich weder das Maß der persönlichen Schuld eines Täters noch Maß und Art seiner Resozialsierungsbedürftigkeit, insbesondere nicht seine Strafempfindlichkeit beurteilen.“ BGHSt 7, 28, 31

Bedarf es weiterer Aufforderungen damit die Landesjustizministerien dieser fachlichen Aussage folgen?

Rainer-Dieter Hering
ADG – Präsidium

 

Anschreiben Nr. 5 – Vorgaben Richtlinien und Überprüfungen durch das Justizministerium

Es gibt in Hessen – wie in anderen Bundesländern – ein Landesgesetz für die Sozialen Dienste der Justiz, in dem u.a. die Aufgaben und Strukturen dieser Dienste, so auch der Gerichtshilfe, festgelegt werden. Das ist zu begrüßen und ernst zu nehmen.

Weniger positiv zu bewerten ist die bisher erfolgte und realisierte praktische Umsetzung der im Gesetz aufgeführten Aufgaben der Gerichtshilfe.
Die ADG möchte daher Ihre (der Abgeordneten des Hessischen Landtags) Aufmerksamkeit auf diese Defizite lenken und Sie bitten, unsere Bedenken und Vorschläge zur Kenntnis zu nehmen und  im Landtag in ein entsprechendes Verfahren einzubringen.

1. Das JM fühlt sich zu wenig an die Vorgaben des Landesgesetzes gebunden. Seit Einführung der Gerichtshilfe in der Strafprozessordnung (vor 40 Jahren!) mangelt es an der vorrangigen Beauftragung im Ermittlungsverfahren. Einer solchen bedürfte es.
Diese Überprüfungen müssten durch entsprechende Verordnungen abgesichert werden.
In Hessen wurden ab dem 01.05.2015 – entgegen den Ausführungen im Gesetz – zuerst in den Landgerichtsbezirken Darmstadt und Limburg die Gerichtshilfe und Bewährungshilfe zu dem gemeinsamen Sozialen Dienst der Justiz zusammengefasst. Dieses wurde als Pilotprojekt ausgewiesen. Aufgabe des Pilotprojektes war es, zu erproben, ob die theoretischen Beschreibungen/Annahmen in der Praxis realisierbar und zielführend sind. – Obwohl die Evaluation der ersten Pilotprojekte 2016 ergab, dass weder die erhofften Synergieeffekte noch die beschriebenen Beauftragungen im Ermittlungsverfahren eintraten, wurde die Zusammenfassung der unterschiedlichen Aufgabenfelder – Gerichtshilfe + Bewährungshilfe – fortgeführt und ausgeweitet: Die Landgerichtsbezirke Frankfurt, Fulda, Gießen, Hanau, Marburg kamen  hinzu und laut JM sollen die Gerichtshilfestellen bei den Staatsanwaltschaften in Kassel und Wiesbaden nach der Planung Anfang 2022 auch in die Sozialen Dienste der Justiz bei den Landgerichten aufgehen.

Bevor Behauptungen  und Thesen zu gesetzlichen Vorgaben werden, gilt es, die Papiere mit den Arbeitszielen, die Zuordnung zu Mittelbehörden und die Erreichbarkeit der Aufgabenerfüllung zu prüfen. Hierzu gehören Auswertungen der Modellversuche, mit den eingetretenen oder ausgebliebenen Ergebnissen. Diese Auswertungen könnten dadurch leicht dargestellt werden, dass die Ausführungen des geltenden Landesgesetzes der geplanten Regelung gegenübergestellt würden, dass die jeweiligen Hinweise „keine Änderung“ oder Teilbeschreibungen der Änderungen angefügt würden.

Die Stellungnahmen der Landesarbeitsgemeinschaften der Gerichtshilfe wie der LAG der Bewährungshilfe stehen der geplanten Gesetzesveränderung ablehnend gegenüber. Sie haben dies in ihren Schreiben an das Hessische Ministerium der Justiz ausführlich begründet. Das Ministerium hat mögliche Synergieeffekte zur Überprüfung und/oder Korrektur ungenutzt gelassen und ebenso den im Jahr 2020 vorgelegten Evaluationsbericht weder dem Lenkungskreis noch einzelnen Mitgliedern zugänglich gemacht. Der erst im August 2021 übermittelte zweite Evaluationsbericht zeigt deutlichste Hinweise auf Mängel, auf nicht erreichbare Ziele und gibt Hinweise zu Kommunikationsdefiziten in der Zusammenarbeit der Staatsanwälte und der Sozialarbeiter der Sozialen Dienste der Justiz. Klare präzise Benennungen der unterschiedlichen Auftraggeber in der Justiz werden durch die Umschreibung „Angehörige der Justiz“ umgangen. Es wird nicht erkennbar dargestellt, dass der weitaus größte Auftragsanteil in den Staatsanwaltschaften von den Vollstreckungsrechtspflegern stammt. Die Juristen in den Ermittlungsabteilungen sind landesweit gesehen nur in wenigen Fällen Auftraggeber, obwohl §160 Abs.3 der Strafprozessordnung gerade mit der Nennung der Gerichtshilfe auf eine Zusammenarbeit hinweist.
Das vom JM angestrebte neue LANDESGESETZ nimmt diese seit über vierzig Jahren nicht genutzte Zusammenarbeit im Ermittlungsverfahren nicht auf, belässt es bei der Aufzählung als Aufgabenziel, ohne die Defizite korrigierend zu verbessern.
Die vom Justizministerium gewählte Vorgehensweise, das geltende Landesgesetz zu ignorieren, Veränderungen in den Organisationsfestlegungen vorzunehmen, Fakten durch ministerielle Anordnungen zu schaffen, um erst dann dem GESETZGEBER ein neues Gesetz vorzulegen, mit der Bitte dieses zu beschließen, erscheint uns verkehrt zu sein. In anderen Bundesländern konnten wir eine derartige Vorgehensweise bisher nie beobachten. Immer gab es bei Erneuerungen der Landesgesetze ein Ringen um die bestmöglichen Festlegungen, ehe dann die Parlamente tätig wurden und erst danach ging es an die beschlossenen Umänderungen.

2. Gerichtshilfe und Staatsanwaltschaften/Problem: Zusammenlegung von Gerichtshilfe und Bewährungshilfe
Die Aufgaben und Zuständigkeiten der Staatsanwaltschaft sind in der Strafprozessordnung festgelegt. Herrin des Ermittlungsverfahrens ist die Staatsanwaltschaft. Dort werden die eingegangenen Anzeige-Vorgänge den einzelnen Dezernaten zugeteilt, dort erfolgt die weitere Sachbearbeitung sowie die Entscheidung, wie das Ermittlungsverfahren abgeschlossen wird. Diverse Möglichkeiten neben der Einstellung des Verfahrens, der vorläufigen Einstellung mit oder ohne Auflagen, dem Strafbefehl, der Anklage beim Einzelrichter oder dem Schöffengericht beim Amtsgericht, gegebenenfalls die Anklage beim Landgericht werden bei diesem Stand des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft geprüft und entschieden. Deshalb wurde die Gerichtshilfe Teil der Staatsanwaltschaften, um bei den Ermittlungen sich auch auf die Umstände zu konzentrieren, die für die Rechtsfolgen der Tat von Bedeutung sind. Hierzu kann sich der Staatsanwalt der Gerichtshilfe bedienen, um durch einen Persönlichkeitsbericht genauere Anhaltspunkte neben der Tat vor der Endverfügung im Ermittlungsverfahren zu erhalten.
Die Gerichtshilfe ist kein zusätzlicher Betreuungsdienst, sondern vorrangig eine soziale Ermittlungshilfe für die Strafjuristen (Großkommentar Löwe-Rosenberg zur StPO und das Gerichtsverfassungsgesetz). Die vom JM vorgesehene organisatorische Zusammenlegung von Bewährungs- und Gerichtshilfe unter dem Dach der Landgerichte wird Beauftragungen im Ermittlungsverfahren kaum erwarten lassen, da dann Staatsanwaltschaft und Gerichtshilfe nicht mehr in einer gemeinsamen Behörde sind und unproblematische Akteneinsichten deutlich erschwert werden.

3. Datenweitergabe, Beauftragungen bei einer außerhalb der Ermittlungsbehörde zu findenden organisatorischen Lösung
In mehreren Bundesländern gab es strukturelle und organisatorische Veränderungen unter dem Leitgedanken der durchgehenden Betreuung. Dieser Leitgedanke geht einher mit der Annahme, Sozialarbeiter der Justiz mit unterschiedlichen Aufgaben benötigten möglichst die räumliche Nähe und den beruflichen Austausch, auch wenn die Schnittmenge zwischen  der  Bewährungs- und der Gerichtshilfe deutlich geringer ist als die zwischen  unterschiedlich ausgebildeten Fachleuten (Juristen, Rechtspflegern, Gerichtshelfern) in der Staatsanwaltschaft. Die Ergebnisse aus anderen Bundesländern belegen: Die Hinzuziehung der Gerichtshilfe im Ermittlungsverfahren wird außerhalb einer gemeinsamen Behörde wesentliche Nachteile mitbringen und beschriebene Synergieeffekte blockieren. Bei der gesetzlichen Struktur sind das Justizministerium, die Generalstaatsanwaltschaft, die Staatsanwaltschaften und die Gerichtshilfe gemeinsam Teil der Exekutive mit Möglichkeiten, per Verordnungen und Weisungen Mängel in der Zusammenarbeit zu überwinden, indem beispielsweise die Gerichtshilfe bei ausgesuchten Delikten beauftragt wird und Anregungen und Vorgaben beisteuert. Der Datenschutz ist in diesem Zusammenhang unbedenklich, gerade dann, wenn die Gerichtshilfe der Staatsanwaltschaft beigeordnet wird. Die im Strafverfahren anfallenden Daten bleiben dann behördenintern. Dazu äußern sich in der „Neuen Zeitschrift für Strafrecht“, Heft 3, 15.03.1992, MD Dr. Karl-Heinz Groß und Dr. Helmut Fünfsinn, beide in der Justiz von Hessen bekannt, wie folgt: „zu den beschriebenen besonders sensiblen Daten gehören Gerichtshilfeberichte“ (S.106).
Auf S.109 unter 2.8, ‚Einschaltung der Gerichtshilfe‘ wird ausgeführt: „Schaltet der ermittelnde Staatsanwalt einen Gerichtshelfer ein, der derselben Staatsanwaltschaft angehört, dann handelt es sich um einen behördeninternen Vorgang; die Zuleitung der gesamten Akte an diesen Gerichtshelfer ist datenschutzrechtlich unproblematisch, da sich der Verwertungszweck der in der Akte gespeicherten Daten nicht ändert.“  Ist dagegen die Gerichtshilfe einer anderen Behörde zugeordnet, ist dieser Schutz der Daten innerhalb einer Behörde durchbrochen. Außerdem werden weitere Probleme geschaffen: Die Effektivität der Arbeit der Gerichtshilfe wird unterhöhlt, zielgerichtete Ergebnisse können schon deshalb nicht erbracht werden, weil die Auftragslage unklar wird. Eine Zusammenlegung mit der Bewährungshilfe ist also kontraproduktiv.

Alle Organisationsformen, die die Ablösung der Gerichtshilfe von der Staatsanwaltschaft anstreben, verhindern die Umsetzung der gemeinsamen Aufgabenstellung.
Die vom Bundesgesetzgeber (Bundestag und Bundesrat) vorgesehene gleichrangige Erfassung von Tat und Täterpersönlichkeit wird auf der Ebene der Exekutive unterbunden, wenn die behördeninterne Zusammenarbeit zerbrochen ist. Ein aussagekräftiges Beispiel liefern die Vorkommnisse beim sexuellen Missbrauch von Kindern in Münster, Lüdge und Staufen, bei denen sich zeigt, welche Fehler und Versäumnisse zu Beginn der Taten beim Umgang mit den ersten Ermittlungsverfahren entstanden sind.

4. Methodische Bemerkung zur Aufgabenumsetzung
Neue Gesetze wie die Zusammenarbeit der Staatsanwälte mit diesem speziellen Sozialdienst bedürfen einer zielführenden Einführung und einer aufmerksamen Begleitung durch das Fachministerium und die Generalstaatsanwaltschaft so wie der Unterstützung durch die Behördenleiter. Ein Gesetz muss bis zur problemlosen Umsetzung über einen längeren Zeitraum evaluiert und  notfalls nachgeschärft werden.
Hier sind über mehrere Jahrzehnte Versäumnisse erkennbar.
In keinem Bundesland war die Anwendung ein Selbstläufer
.
Was erreichbar ist, soll durch die Darstellung der Entwicklung in Baden-Württemberg im Anhang erkenn- und nachvollziehbar werden.

Rainer-Dieter Hering

Anhang zu Anschreiben Nr.5
Vorgesetzte Dienststellen, Behördenleitungen, Ministerien können Verbesserungen ermöglichen. Auch veränderte statistische Erfassungen und Jahresberichte führen zu einer stetigen fachlichen Verbesserung und Zusammenarbeit von Strafjuristen und Sozialarbeitern in der GH, nicht zuletzt weil sie einer gemeinsamen Behörde angehörten.

Hier nun Beispiele aus Baden-Württemberg, wie mit den eingetretenen Situationen umgegangen werden kann:
Dr. Bender, der Justizminister, setzte 1972 eine Kommission für Bewährungs- und Gerichtshilfe ein, mit dem Auftrag, eine Bestandsaufnahme über die derzeitige Lage in BW zu erstellen und Vorschläge für eine Verbesserung der Wirksamkeit und Wirkungsmöglichkeiten sowie der Infrastruktur der Bewährungs- und Gerichtshilfe auszuarbeiten. Mitglieder der Kommission waren u.a. der MD Dr. Kurt Rebmann, der Abteilungsleiter Strafrecht, 3 Lt. Oberstaatsanwälte, Vertreter der GenSta Karlsruhe, 4 Richter, 4 Bewährungshelfer, 2 Vollzugsvertreter, der Leiter der Fortbildungsakademie und der zentrale ständige Mitarbeiter MR Dr. Tögel des Justizministeriums. Beratend haben Vertreter des Finanzministeriums, Innenministeriums und des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Sozialordnung mitgewirkt.
Der Kommissionsbericht wurde im Juli 1974 vorgelegt. Hier folgend Auszüge aus den darin enthaltenen Darstellungen und Vorschläge, die die Gerichtshilfe betreffen:
- Die Kommission empfiehlt, bei allen Staatsanwaltschaften Gerichtshilfestellen einzurichten und eine Liste der GH-Stellen jährlich zu veröffentlichen.
- Die Kommission empfiehlt, die Gerichtshilfestellen, soweit dies bei den örtlichen Gegebenheiten möglich ist, mit den Dienststellen der Bewährungshelfer zusammenzulegen.
Der verstärkte Einsatz des Gerichtshelfers im Ermittlungsverfahren ist am besten gewährleistet, wenn er wie bisher der Staatsanwaltschaft angehört. Dies fördert den Kontakt mit dem Staatsanwalt. Ohne Umwege lässt sich ein Gespräch führen, ohne lange Postwege können Akten dem Gerichtshelfer zur Einsicht überlassen werden.
Durch seinen Referenten für Gerichtshilfe übt der Generalstaatsanwalt beim OLG die dem Behördenleiter der örtlichen Staatsanwaltschaft übergeordnete Dienstaufsicht über den Gerichtshelfer aus.
Schon 1973 gab es eine Dienstordnung für Gerichtshelfer (Gerichtshelfer DO). Zu dieser Zeit waren nur an wenigen Standorten Gerichtshilfestellen ausgewiesen. Mit der gesetzlichen Aufnahme der Gerichtshilfe in die Strafprozessordnung begann der personelle Ausbau gemäß der Empfehlungen der Kommission.
In BW gab es ab 1974 zur Absicherung und zum Ausbau gemeinsame Dienstbesprechungen der Gerichtshilfereferenten der Generalstaatsanwälte in Karlsruhe und Stuttgart mit den Gerichtshelfern. So wurden regelmäßig aktuelle Themen durch Referate der Praktiker eingeführt und anschließend mit den anwesenden Behördenleitern ob der Umsetzbarkeit von Empfehlungen/ Anregungen an das Justizministerium behandelt. Offenkundige Mängel konnten so direkt den entscheidenden Stellen vorgetragen und in einer guten Gesprächsatmosphäre geklärt werden. Dieses wird durch die Veränderungen in den Verordnungen zum Landesgesetz erkennbar.
In der VV-JSG 1979 wird unter Punkt 14 formuliert:
„Die Gerichtshilfe hat ihren Sitz bei den Staatsanwaltschaften. Die Diensträume sollen möglichst innerhalb des Gebäudes der Staatsanwaltschaft liegen.“

Warum diese Abänderung gegenüber vorherigen Empfehlungen?
Die Gerichtshilfestellen hatten an mehreren Standorten – obwohl zur Staatsanwaltschaft gehörend – ihre  Diensträume als Bürogemeinschaften mit der Bewährungshilfe bzw. in extern angemieteten Räumen, in Nebengebäuden z. T. mit den Vollstreckungsabteilungen oder in Gerichtsgebäuden. In all diesen Fällen gab es nur wenige direkte Begegnungen mit den Dezernenten der Ermittlungsabteilungen. In Ulm, Stuttgart, Heilbronn kam es mehrfach zu räumlichen Veränderungen, die sich direkt in der Beauftragung im Ermittlungsverfahren nachweislich u.a. durch die Statistik belegen ließen.
Da im JM für die Gerichtshelfer ständige, langjährige Mitarbeiter und die Abteilungsleiter für Strafrecht und die Personalabteilung zugänglich waren, diese neben den Generalstaatsanwaltschaften (2) die aktuellen Entwicklungen kannten, konnten verbesserte und neue fachliche Angebote zügig beleuchtet, abgewogen und in die praktische Arbeit aufgenommen werden. So wurden in den Aufgabenkatalog die Opferberichterstattung, der Täter-Opfer-Ausgleich und die verstärkte Anwendung  der vernetzten Zusammenarbeit (staatliche Stellen, kommunale Dienste, gemeinnützige Vereinigungen) insbesondere bei häuslicher Gewalt aufgenommen.

In einer gemeinsamen Vorgehensweise haben das Justizministerium BW, das Institut für Kriminologie der Universität Tübingen und die Landesarbeitsgemeinschaft Deutscher Gerichtshelfer (jetzt ADG) eine Zusatzausbildung für Gerichtshelfer entwickelt, vorbereitet und umgesetzt. In der Zeit von Januar 1991 bis Januar 1994 haben die Gerichtshelfer berufsbegleitend regelmäßig an  dem Fortbildungskurs in der Methodik der Persönlichkeitserfassung Straffälliger teilgenommen und die fachlichen Leistungsanforderungen erfolgreich bewältigt. Generelles Ziel für diesen Fachbereich war die Stärkung der Fachlichkeit. Ergänzendes Ziel war die Schaffung einer Grundlage für die einheitliche Außendarstellung des Tätigkeitsbereiches in der Justiz und in der (Fach-) Öffentlichkeit.

In einem weiteren Schritt kam es durch das Justizministerium zur Einführung eines beauftragten Gerichtshelfers.

In der Regelung in den VV-JSG ist unter 21. Dienstprüfung festgelegt:
(4) Der Generalstaatsanwalt bestellt mit Zustimmung des Justizministeriums für die Dauer von 4 Jahren einen Gerichtshelfer aus seinem Bezirk zum beauftragten Gerichtshelfer. Dieser unterstützt den Referenten für Gerichtshilfe bei der Beurteilung fachlicher Fragen; der Referent für Gerichtshilfe wird den beauftragten Gerichtshelfer regelmäßig den Leitenden Oberstaatsanwälten bei der Dienstprüfung nach Abs.1-3 beratend zur Seite stellen.
(5) Bei Erledigung der unter Absatz 4 genannten Aufgaben untersteht der beauftragte Gerichtshelfer der direkten Dienstaufsicht des Generalstaatsanwalts; zur Wahrnehmung dieser Aufgaben wird der beauftragte Gerichtshelfer mit dem erforderlichen Teil seiner Arbeitskraft an die Generalstaatsanwaltschaft abgeordnet.
Von dieser Möglichkeit haben Behördenleiter regelmäßig Gebrauch gemacht. Hierdurch gelang eine Verbesserung der fachlichen Beurteilung.
Noch eine Veränderung mit Auswirkungen betrifft das Dienstregister und die Statistik, die jeder Gerichtshelfer zu führen hat. Pro Kalenderjahr wurde über die Behördenleitung dem Generalstaatsanwalt ein Erfahrungsbericht nebst Statistik vorgelegt. Waren in den ersten Berichtsjahren u.a. nur als Unterscheidungen bei den Auftraggebern im laufenden Verfahren die Beauftragungen von den Staatsanwaltschaften (nach JS-Aktenzeichen) und die Auftraggeber durch die Gerichte anzugeben, kam es danach zu einer Differenzierung bei den Aufträgen durch die Staatsanwälte. Grund war die unterschiedliche Beauftragungspraxis in einigen Ermittlungsbehörden, die entgegen der vom Gesetzgeber und den Landesjustizministerien gewollten Vorgehensweise die Gerichtshilfe erst mit Anklageerhebung durch Übersendung der Anklageschrift beauftragten. Durch die statistische Erfassung von Aufträgen vor und nach Anklageerhebung konnte im Sinne von § 160 Abs. 3 Strafprozessordnung die Zuarbeit für die Staatsanwälte erkennbar vorverlegt werden, damit die Erkenntnisse über die Täterpersönlichkeit schon vor der Endverfügung dem sachbearbeitenden Juristen zur Verfügung standen.
Diese Nachschärfung im Auftragsverhalten wurde als deutliche Verbesserung im Hinblick auf die weiteren Entscheidungen und Verfahrensfolgen eingeschätzt.
Hier zeigen sich Auswirkungen einer abgestimmten vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen der Praxis und der Exekutive.
Wir haben die Einführung und Fortentwicklung der Gerichtshilfe in Baden-Württemberg gewählt, um sehr deutlich die Unterschiede erkennbar werden zu lassen. Die Mehrzahl von innovativen Fortentwicklungen im Vorverfahren basieren auf gesicherten Erkenntnissen, die in diesem Bundesland gemacht wurden und Eingang in anderen Bundesländern fanden.
Was in Hessen ablief und gegenwärtig durch das Justizministerium verändert werden soll, welche Auswirkungen diese Veränderungen für den Bereich der sozialen Strafrechtspflege mit sich bringen würden, werden wir in dem Rundschreiben Nr. 6 darstellen
.


Anschreiben Nr. 6
Systematische Zusammenfassung
der bisherigen Anschreiben 1 – 5,  Auswirkungen in der Strafrechtspflege   – 28. Oktober 2021

Nach der derzeitigen Gesetzeslage in Hessen nach dem Landesgesetz für die Sozialen Dienste der Justiz, in dem unter anderem die Aufgaben und Strukturen dieser Dienste geregelt sind, ist die Gerichtshilfe bei den Staatsanwaltschaften angesiedelt.

2.

Derzeit ist ein Gesetz geplant („Gesetz über die Organisation der Sozialen Dienste der Justiz und der Führungsaufsicht“), nach dem – neben Regelungen zu Führungsaufsichtsstellen – vorgesehen ist, bei den Landgerichten gemeinsame Dienststellen der Bewährungshilfe und der Gerichtshilfe (Soziale Dienste der Justiz) einzurichten, die dann der Aufsicht der Präsidentin oder des Präsidenten des Landgerichts unterstehen.

3.

Mit diesem Gesetz möchte die Landesregierung bzw. das Justizministerium offenbar eine als „Pilotprojekte“ umschriebene Vorgehensweise, mit der Verstöße gegen die bisherige Regelung „verkleidet“ wurden, hinterher legalisieren – obwohl die geplante Vorgehensweise weder mit Stellung und Funktion der Gerichtshilfe vereinbar ist (dazu II) noch die mit den „Pilotprojekten“ bezweckten Effekte erreicht wurden (dazu III), vielmehr massive Schwierigkeiten (auch) in datenschutzrechtlicher Hinsicht bis hin zu Aushöhlung des gesetzlich vorgesehen Instituts der Gerichtshilfe zu erwarten sind (dazu IV).

II.

1.

Die Gerichtshilfe findet ihre (erste und grundsätzliche) Erwähnung in § 160 Abs. 3 StPO. In dieser Vorschrift ist die Pflicht zu Sachaufklärung durch die Staatsanwaltschaft geregelt. Diese soll sich auch auf die Umstände erstrecken, die für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Tat von Bedeutung sind. Schon hieraus ergibt sich ein direkter Zusammenhang zwischen Staatsanwaltschaft und Gerichtshilfe.

Dazuhin hat die Staatsanwaltschaft als „objektivste Behörde der Welt“ in alle Richtungen zu ermitteln, d.h. alle belastenden und auch entlastenden Fakten zusammenzutragen, um dann zu einem Ergebnis zu kommen. Dabei hat sie diverse Möglichkeiten: Neben der Einstellung des Verfahrens, der vorläufigen Einstellung mit oder ohne Auflagen, dem Strafbefehl, der Anklage beim Einzelrichter oder dem Schöffengericht beim Amtsgericht, kommt gegebenenfalls die Anklage beim Landgericht je nach Fall in Betracht. Bei eben dieser Entscheidung sind die zu erwartenden Rechtsfolgen relevant, die sich insbesondere (auch) nach den Umständen der Tat und der Beteiligten richten. Deshalb wurde die Gerichtshilfe Teil der Staatsanwaltschaften, um bei den Ermittlungen sich auch auf diese Umstände zu konzentrieren. Dies ist der Teil der Arbeit, der nicht von der Polizei als Ermittlungsbehörde geleistet werden kann und soll. Vielmehr kann (und soll) sich die Staatsanwaltschaft der Gerichtshilfe bedienen, um durch einen Persönlichkeitsbericht genauere Anhaltspunkte neben der Tat vor der Endverfügung im Ermittlungsverfahren zu erhalten.

Von Relevanz ist hierbei, dass die Gerichtshilfe auch für die Erstellung von Opferberichten maßgeblich beteiligt werden kann (und soll). Dies wiederum kann selbstredend nur dann sinnvoll funktionieren, wenn die Gerichtshilfe an der Objektivität der Staatsanwaltschaft quasi „teilnimmt“, also eng mit der Staatsanwaltschaft gekoppelt ist.

Nochmals zur Verdeutlichung: Die Gerichtshilfe ist kein zusätzlicher Betreuungsdienst, sondern vorrangig eine soziale Ermittlungshilfe für die Strafjuristen (Großkommentar Löwe-Rosenberg zur StPO und das Gerichtsverfassungsgesetz). Sie betreut nicht; sie hat keine Probanden oder (neudeutsch) „Klienten“. Die Gerichtshilfe ermittelt die sozialen Umstände – und dies ist gerade im Bereich der Opferberichterstattung von steigender Bedeutung. Mag auch der Gesetzgeber diverse Bemühungen zum Opferschutz vorgenommen haben, setzen diese doch alle eine Initiative des Opfers selbst voraus – wozu viele aber einfach nicht in der Lage sind. Hier kann die Gerichtshilfe das Mittel der Wahl sein, um mit einem proaktiven Ansatz die Opfer „abzuholen“ – ohne Partei zu ergreifen.

2.

Die Bewährungshilfe dagegen ist betreuend, ein Stück weit parteilich. Sie dient quasi der „Absicherung der Vollstreckung“, vor allem bei der Erfüllung der Auflagen und Weisungen (oder im Rahmen der Führungsaufsicht). Das ist aber nicht – oder nur zweitrangig – eine Hilfe für das Gericht, sondern primär für den Verurteilten.

3.

Bereits hieraus wird deutlich, dass sich eine Zusammenlegung der Gerichtshilfe mit der Bewährungshilfe schon wegen der völlig unterschiedlichen Ansätze – einerseits Ermittlungsdienst in objektiver Weise, andererseits Beratung/Betreuung/Unterstützung/Hilfe – verbietet. Erst recht erscheint die Vorstellung, dass ein Bewährungshelfer*in zugleich Gerichtshelfer*in sein soll, nicht durchführbar. Dazuhin wäre sowohl für Bewährungs/Gerichtshelfer*in als auch insbesondere für einen etwa dann Verurteilten eine vertrauensvolle Zusammenarbeit im Bewährungsverfahren undenkbar, wenn dieselbe Person zuvor als Opferberichterstatter tätig war.

III.

1.

In sogenannten „Pilotprojekten“ wurde die Zusammenlegung von Bewährungshilfe und Gerichtshilfe seit 2016 erprobt. Das Ergebnis ist tatsächlich mehr als ernüchternd. Die angeblich bezweckten Synergieeffekte konnten eben gerade nicht erreicht werden. Die Stellungnahmen der Praktiker, die an diesen Pilotprojekten teilgenommen haben sprechen eine deutliche Sprache:

Die Landesarbeitsgemeinschaften der Gerichtshilfe wie der Bewährungshilfe stehen der geplanten Gesetzesveränderung ablehnend gegenüber und haben dies in ihren Schreiben an das Hessische Ministerium der Justiz ausführlich begründet. Das Ministerium hat hier nicht reagiert und auch – so der Eindruck – einen ersten Evaluationsbericht weder dem Lenkungskreis noch einzelnen Mitgliedern zugänglich gemacht. Der erst im August 2021 übermittelte zweite Evaluationsbericht zeigt deutlichste Hinweise auf Mängel, auf nicht erreichbare Ziele und gibt Hinweise zu Kommunikationsdefiziten in der Zusammenarbeit der Staatsanwälte und der Sozialarbeiter der Sozialen Dienste der Justiz.

Es fällt auch auf, dass präzise Benennungen der unterschiedlichen Auftraggeber in der Justiz tunlichst unterbleiben. Es wird nicht erkennbar dargestellt, dass der weitaus größte Auftragsanteil in den Staatsanwaltschaften von den Vollstreckungsrechtspflegern stammt – und eben NICHT von den Juristen in den Ermittlungsabteilungen, obwohl §160 Abs.3 der Strafprozessordnung gerade mit der Nennung der Gerichtshilfe auf eine solche Zusammenarbeit hinweist.

Je weiter die Gerichtshilfe von den potentiellen Auftraggebern entfernt wird, desto weniger „echte“ Gerichtshilfeaufträge im Ermittlungsverfahren sind zu erwarten. Damit einher gehen aber auch geringere Erkenntnismöglichkeiten, die ein Verfahren grundlegend erleichtern und befördern können.

2.

Seitens der LAG der Gerichtshilfe konnte – neben einer überwiegenden Zahl an negativen Effekten – beim Pilotprojekt positiv nur vermerkt werden, dass sich die Vertretungssituation in einem Bezirk entspannt habe und dass sich die Durchlässigkeit zwischen den Tätigkeitfeldern erhöht habe. Alle anderen, vom Pilotprojekt erwarteten Effekte (bessere Beförderungschancen, bessere Aufstiegschancen für die Gerichtshelfer*innen, qualitative Verbesserung und Zuwachs an Kolleg*innen) traten nicht ein – im Gegenteil: die Gerichtshilfe wurde letztendlich „ausgebootet“ bei qualitativer Verschlechterung der Zusammenarbeit mit den Staatsanwaltschaften, höherer Belastung durch „Spagat“ zwischen den Tätigkeitsfeldern und auch Rückgang der Auftragslage.

Auch die LAG der Bewährungshilfe kann keine fachlichen Synergieeffekte erkennen – zumal die Überschneidung der Arbeitsfelder gering ist – und benennt außerdem die Befürchtung, dass die zusätzlichen Belastungen für die Mitarbeiter weitaus höher sind als der zu erwartende Nutzen, dazuhin die Verschlechterung der Qualität sowohl bei der Arbeit der Gerichtshilfe als auch der Bewährungshilfe.

IV.

1.

In mehreren Bundesländern gab es strukturelle und organisatorische Veränderungen unter dem Leitgedanken der durchgehenden Betreuung. Dieser Leitgedanke geht einher mit der –fragwürdigen- Annahme, Sozialarbeiter der Justiz mit unterschiedlichen Aufgaben benötigten möglichst die räumliche Nähe und den beruflichen Austausch. Tatsächlich ist die Schnittmenge zwischen  der  Bewährungs- und der Gerichtshilfe deutlich geringer als die zwischen  unterschiedlich ausgebildeten Fachleuten (Juristen, Rechtspflegern, Gerichtshelfern in der Staatsanwaltschaft. Die Ergebnisse aus anderen Bundesländern belegen: Die Hinzuziehung der Gerichtshilfe im Ermittlungsverfahren wird außerhalb einer gemeinsamen Behörde wesentliche Nachteile mit sich bringen und beschriebene Synergieeffekte eben gerade blockieren.

2.

Die Herauslösung der Gerichtshilfe aus den Staatsanwaltschaften führt nicht zuletzt auch zu Problemen mit dem Datenschutz Wenn die Gerichtshilfe „intern“ beauftragt wird, ist der Datenschutz in diesem Zusammenhang unbedenklich, gerade dann, wenn die Gerichtshilfe der Staatsanwaltschaft beigeordnet wird. Die im Strafverfahren anfallenden Daten bleiben dann behördenintern.

Dazu äußerten sich in der „Neuen Zeitschrift für Strafrecht“ (Heft 3, 15.03.1992) MD Dr. Karl-Heinz Groß und Dr. Helmut Fünfsinn, beide in der Justiz von Hessen bekannt, wie folgt: „zu den beschriebenen besonders sensiblen Daten gehören Gerichtshilfeberichte“ (S.106). Auf S.109 unter 2.8, ‚Einschaltung der Gerichtshilfe‘ wird ausgeführt: „Schaltet der ermittelnde Staatsanwalt einen Gerichtshelfer ein, der derselben Staatsanwaltschaft angehört, dann handelt es sich um einen behördeninternen Vorgang; die Zuleitung der gesamten Akte an diesen Gerichtshelfer ist datenschutzrechtlich unproblematisch, da sich der Verwertungszweck der in der Akte gespeicherten Daten nicht ändert.“ Daran hat sich auch durch Zeitablauf nichts geändert. Ist die Gerichtshilfe einer anderen Behörde zugeordnet, ist dieser Schutz der Daten innerhalb einer Behörde durchbrochen.

Außerdem werden weitere Probleme geschaffen: Die Effektivität der Arbeit der Gerichtshilfe wird unterhöhlt, zielgerichtete Ergebnisse können schon deshalb nicht erbracht werden, weil die Auftragslage unklar wird. Eine Zusammenlegung mit der Bewährungshilfe ist also kontraproduktiv – wie erwähnt schon grundsätzlich wegen der unterschiedlichen Ansätze.

Alle Organisationsformen, die die Ablösung der Gerichtshilfe von der Staatsanwaltschaft anstreben, verhindern die Umsetzung der gemeinsamen Aufgabenstellung. Die vom Bundesgesetzgeber (Bundestag und Bundesrat) vorgesehene gleichrangige Erfassung von Tat und Täterpersönlichkeit – aber zunehmend die Interessen der Opfer – wird auf der Ebene der Exekutive unterbunden, wenn die behördeninterne Zusammenarbeit zerbrochen ist. Ein aussagekräftiges Beispiel liefern die Vorkommnisse beim sexuellen Missbrauch von Kindern in Münster, Lüdge und Staufen, bei denen sich zeigt, welche Fehler und Versäumnisse zu Beginn der Taten beim Umgang mit den ersten Ermittlungsverfahren entstanden sind.

V.

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Durch die „Pilotprojekte“ sollten (scheinbare) Fakten geschaffen werden. Nunmehr soll das, was letztlich contra legem „pilotiert“ wurde, entgegen der erzielten Ergebnisse und nicht nur unter Missachtung der fundierten Bedenken und Einwände der Praktiker sowohl auf Seiten der Gerichtshilfe wie auch der Bewährungshilfe, sondern auch unter Missachtung der strukturellen Eigenheiten von Bewährungs- und Gerichtshilfe als Gesetz „durchgewinkt“ werden. Es entsteht außerdem der Eindruck, dass die Gerichthilfe – immerhin ein vom Gesetzgeber vorgesehener sozialer Dienst der Justiz – auf diese Art und Weise „durch die Hintertür“ letztlich ausgeblutet und abgeschafft werden soll.

Dem sollte entgegengewirkt werden, zumal in anderen Bundesländern vergleichbare Projekte nicht zielführend waren.

Rainer-Dieter Hering

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