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Gemeinnützige Arbeit statt Knast (Podiumsdiskussion)

Statt Geldstrafe oder Einsperren : Gemeinnützige Arbeit als Sanktion?

Ausgangssituation

Seit Anfang der 90er Jahre kam es durch Anregung der unterschiedlichsten Gremien immer wieder zu einer Diskussion, ob und inwieweit die ”Gemeinnützige Arbeit” über das bisherige Angebot zur Ersatzfreiheitsstrafenvermeidung hinaus zu einer alternativen Sanktionsform ausgebaut werden kann. Die Kriminologische Zentralstelle in Wiesbaden befasste sich mit diesem Thema, forschte und begleitete die unterschiedlichen Modellversuche und die Arbeitspraxis, um die gewonnenen Erkenntnisse dann sowohl den Landesjustizministerien wie einer Reihe von Universitätsinstituten sowie Verbänden im Bereich der sozialen Strafrechtspflege vorzustellen. Nachfolgend wurde über das Ergebnis und die Folgerung ein reger Meinungsaustausch eingeleitet. Bei diversen Fachveranstaltungen, u. a. die ADG – Fachtagung ”gemeinnützige Arbeit” in Sankelmark/Schl.-Hol. zeigte sich, dass die Umsetzung in den einzelnen Bundesländern äußerst unterschiedlich organisiert wird. Es gilt nicht nur darauf hinzuweisen, dass es drei unterschiedliche Modelle, nämlich

  • das Sozialarbeitermodell
  • das Rechtspflegermodell
  • das Vereinsmodell

gibt – jeweils danach benannt, wer die Gemeinnützige Arbeit umsetzt – sondern dass in der Zwischenzeit innerhalb der einzelnen Bundesländern die Übertragung dieser Arbeit nicht mehr einheitlich organisiert und umgesetzt wird. Wir finden in den einzelnen Bundesländern die Situation vor, dass in einigen Landgerichtsbezirken Vereine/Verbände mit der Übernahme dieser Aufgaben betraut wurden und an anderen Standorten die Gerichtshilfe/der Soziale Dienst der Justiz. In selteneren Fällen erfolgt  die Umsetzung dieser Tätigkeit durch Rechtspfleger.

Dort, wo es den einheitlichen Sozialen Dienst gibt, also die Gemeinnützige Arbeit von den Sozialdienst umzusetzen ist, – ergeben sich in der Sachbearbeitung und Aufgabenübernahme keine Spezialisierungen, sondern Mischformen. So finden wir bei Sozialarbeitern die überwiegend Bewährungsaufgaben übertragen bekommen große Anteile von GA-Aufträgen.

Wir können somit feststellen, dass es keine bundeseinheitliche Ausgestaltung dieses Aufgabenbereiches gibt und darüber hinaus auch in den Bundesländern häufig verschiedene Dienste/Organisationen die GA umsetzen.

Bei der Schaffung eines Gesetzes zur Reform des Sanktionenrechts – zentraler Ansatzpunkt wäre insbesondere die Vermeidung von kurzen Freiheits- und Ersatzfreiheitsstrafen – wird der Aufgabenbereich GA eine deutliche Erweiterung erfahren. Um so wichtiger erscheint es uns, möglichst gemeinsame Grundlagen anzustreben. Diese können eine Basis für die Einrichtung dieses Aufgabenbereiches bilden.

Der bisherige Entwurf eines Gesetzes zur Reform eines Sanktionensystems will die Erweiterung des Anwendungsbereiches der gemeinnützigen Arbeit erreichen und die unterschiedlichen Zugangsmöglichkeiten bündeln. Es geht dann um die Erweiterung des Anwendungsbereichs der GA durch

  • eine teilweise obligatorisch ausgestaltete Freiheitsstrafen -  Ersetzungsmöglichkeit (bis zu 6 Monaten Freiheitsstrafe),
  • die Einführung der gemeinnützigen Arbeit als primäre Ersatzstrafe bei Uneinbringlichkeit einer Geldstrafe,
  • die Ermöglichung von Arbeitsauflagen im Rahmen der Verwarnung mit Strafvorbehalt.

Anmerkungen zum Entwurf des Gesetzes zur Reform des Sanktionensystems

Das Bundesministerium der Justiz hat mit Schreiben vom 28.12.2000 die Landesjustizverwaltungen über einen Entwurf eines Gesetzes zur Reform eines Sanktionenrechtes in Kenntnis gesetzt und die Länder um eine Stellungnahme bis zum 12. April 2001 gebeten. In den Bundesländern wurde die gerichtliche und staatsanwaltschaftliche Praxis angehört, sowie die Finanzministerien beteiligt. In der Zwischenzeit haben die Landesjustizministerien ihre Stellungnahmen gegenüber Bundesministerium der Justiz abgegeben. Mehrheitlich wird, soweit es uns bekannt wurde, Kritik an dem Entwurf geäußert. Auch dort, wo grundsätzlich der Zielvorstellung zugestimmt wird, gibt es hinsichtlich der konkreten Umsetzung deutliche Kritik.  Es wird das Grundanliegen des Entwurfs geteilt, den Staatsanwaltschaften und Gerichten bei leichterer und mittlerer Kriminalität die Möglichkeit zu geben, mit ambulanten Sanktionen zu reagieren. Insgesamt hält man den Gesetzesentwurf, so wie er vorliegt, nur in wenigen Bereichen für erforderlich oder gar geeignet, diese Ziele umzusetzen.

In weiten Teilen entsteht der Eindruck, dass dieser Gesetzentwurf weitestgehend, wenn nicht gar grundsätzlich, abrufbereite Erkenntnisse der Praxis unberücksichtigt lässt, insbesondere die Arbeitsmengenbewältigung wie sie von Berufsgruppen erbracht wird, die in der Anhörung nicht direkt beteiligt waren. Rechtspfleger, Sozialarbeiter der Justiz und Mitarbeiter der Vereine und Verbände sind bei der Übertragung dieser Aufgabe betroffen. Sie müssten durch die neuen Anforderungen zusätzliche Arbeitsleistungen ertragen. Hier zeigt sich, dass aus dem europäischen Ausland eine ganze Reihe von Erkenntnissen vorliegen, die nicht gründlich und umfassend genug erörtert wurden, obwohl sie von grundsätzlicher Bedeutung sind und Auswirkungen auf den Arbeitsanfall haben. Nachfolgend werden wir einige Erkenntnisse aus verschiedenen Ländern beschreiben, die jetzt noch diskutiert und dargestellt werden müssten.

Die Hinweise sollen zur Klarstellung beitragen, damit leichter erfassbar wird, welche Vorstellungen der Gesetzgeber im Zusammenhang mit der Umsetzung der GA hat und inwieweit die Länder bereit sind, diesem zu folgen und letztendlich in welch einem Umfang die Landesjustizministerien/Finanzministerien der Länder bereit sind, die finanziellen Mittel hierfür zur Verfügung zu stellen.

Die nachfolgenden Beschreibungen sind für alle Mitarbeiter – unabhängig von dem jeweiligen Anstellungsträger – gleichermaßen von grundsätzlicher Bedeutung. Von daher sollten sich Alle dazu aufgerufen fühlen, jetzt noch ihre fachlichen Bedenken einzubringen und eine Veränderung/eine Verbesserung des Gesetzentwurfes verlangen.

Es wäre fatal, wenn die positiv zu bewertende Zielvorstellung den Blick auf die ungenügend abgesicherte praktische Umsetzung verstellt.

Ob ein Gesetz mit Leben gefüllt werden kann oder verkümmert, sich gar in das Gegenteil der Zielvorstellungen umkehrt, hängt nicht zuletzt davon ab, ob die gewollten Ausweitungen mit der Bereitschaft, der Länder hierfür die Kosten bereitzustellen deckungsgleich verlaufen. Es ist ein erheblicher Aufwand notwendig, um  ein flächendeckendes Angebot an Einsatzstellen abgesichert vorzuhalten, eine sozialarbeiterische Betreuung zu erreichen, die die Umsetzung dieser Aufgaben erst ermöglichen.

Änderungen im Sanktionssystem, die vordergründig nur unter dem Druck von Effektivitäts- und Kostenproblemen geschehen, werden sich nur schwerlich rechnen oder  ergiebig zeigen.

Herauszustellen ist:  

  • ein neues Gesetz schafft den notwendigen Rahmen,
  • entscheidet jedoch nicht, ob sich das Vorhaben um- und durchsetzen wird,
  • ist bei Bedarf schwierig korrigierbar,
  • die Erreichbarkeit der Zielsetzung ist nicht einschätzbar,
  • und die vom Gesetzgeber vorgegebene Zeilsetzung wird nicht kontrolliert, gegebenenfalls  nachdrücklich von den umsetzenden Bundesländern eingefordert.

Um dennoch die Alternative Sanktion ”Gemeinnützige Arbeit” fachlich abgesichert zu entwickeln, benötigen wir Beschreibungen und Festlegungen für das Projektziel. Hierzu gehören: 

  • eine Zielgruppenbeschreibung und eine Indikation,
  • die Festlegung der sozialarbeiterischen Arbeitsschritte,
  • die Dokumentation nach innen und außen,
  • die Beschreibung des organisatorischen administrativen Aufwandes,
  • die Kommunikation innerhalb der Justiz,
  • der Auf- und Ausbau eines Einsatznetzwerkes (Beschäftigungsstellen),
  • eine Leistungsbeschreibung

Vergleichbar wäre die Vorgehensweise mit der Entwicklung und Abklärung in den europäischen Ländern, in denen die gemeinnützige Arbeit als Alternative zur Freiheitsstrafe eingeführt wurde.

Welche Erkenntnisse ergeben sich aus den Hinweisen der nachfolgenden Ländern?

 Österreich

Die Beschreibung des sozialarbeiterischen Aufwandes lässt eine Einschätzung der zur Verfügung zu stellenden personellen und sächlichen Mitteln zu. Eine derartige Rechnung führte in Österreich während einer Aufbauphase zu einer zeitlichen Bemessung von 10 Stunden pro übertragenen Fall und später im Regelbetrieb für den Mindeststandard einer gemeinnützigen Arbeit von 6,5 Stunden pro Fall. Nicht enthalten sind ein erhöhter Beratungs- und Interventionsaufwand.

Nach einer Aufbauphase würde dieses deutlich nach den genannten Maßstäben bedeuten, dass eine Fachkraft mit einer Vollzeitstelle hochgerechnet maximal auf 300 Fälle pro Kalenderjahr käme.

Schweiz

In den Kantonen Bern und Zürich geht man bei der Ermittlung des zeitlichen und personellen Aufwandes ebenso  davon aus, dass jede Dienstleistung für die Justiz und den Vollzug klar aufzulisten und zu strukturieren ist, damit das Produkt / die Dienstleistung sichtbar und berechenbar wird. Pro Arbeitskraft wären 240 Fälle im Jahr zu bearbeiten.

N, S, Dk, FIN

Betrachten wir den Verfahrensablauf, ehe es zur Verhängung/Gestattung einer GA kommt, so ist erkennbar, dass in der Mehrzahl der europäischen Länder, die diese Sanktion kennen, vorab der Soziale Dienst für die Juristen klärt, ob die in Frage kommende Person geeignet ist,  gemeinnützige Arbeit zu leisten. Dieses Verfahren läuft als sog. ”Personenuntersuchung” in Strafsachen. Mit dieser Vorgehensweise will sich die Strafjustiz absichern, damit nicht völlig überforderte, ungeeignete Personen mit einem hohen Aufwand in Arbeitsprojekte vermittelt werden müssen oder durch die Unvermittelbarkeit neue Probleme aufkommen.

Die Vorklärung hat zum Ziel herauszufinden, ob der Beschuldigte Arbeitsleistungen erbringen kann. Diese Vorklärung erfolgt in den skandinavischen Ländern (N, Dk, S, SF), sowie in Österreich und in einigen Kantonen der Schweiz.

In Schweden spricht man bei der GA vom Zivildienst, den man statt Strafvollzug anbietet. Es ist eine Alternative zur Freiheitsstrafe, setzt die aktive Mitwirkung des Verurteilten und die Einhaltung des erstellten Zivildienstplanes voraus. Die GA muss ausschließlich in der Freizeit (Abende, Wochenenden usw.) unter Aufsicht des Sozialdienstes der Justiz umgesetzt werden.

Der Verurteilte behält seine Stellung als gewöhnlicher Arbeitnehmer bzw. als Arbeitsuchender.

Deutlich wird, dass bei diesem Konzept die Freizeit des Verurteilten Einschränkungen erfährt. Die Freizeit, jedoch nicht die Freiheit einzugrenzen, wird als nachhaltiges und somit einprägsames Mittel angewandt.

Die Umsetzung der Arbeitsstrafe plant man in Finnland über eine Zeitspanne, welche der Länge der ursprünglichen Gefängnisstrafe entspricht.

Es wird deutlich, dass in den genannten Ländern vorab eine Klärung erfolgt, die als Filter vor einer Anordnung gesetzt wird. Bei der Umsetzung der GA in der Freizeit der Verurteilten und da der Arbeitseinsatz über einen längeren Zeitraum geht, die Sozialarbeiter den Täter öfters sehen + treffen können, kann eine nachhaltigere Wirkung erzielt werden. Aus den europäischen Beschreibungen ergibt sich, dass in Deutschland vor  einer gesetzlichen Verankerung eine Klärung angebracht wäre, ob eine vergleichbare Vorgehensweise festzulegen wäre. Die bisherige Entwicklung und der Stand in der Anwendung der gemeinnützigen Arbeit  in den einzelnen Bundesländern bestätigt diese Notwendigkeit.

Klärungsbedarf

  •  Was wollen wir mit der GA als alternative Sanktion erreichen?
  •  Geht es der Justiz ausschließlich nur um Haftvermeidung?
  •  Wäre der Anspruch der Freizeitbegrenzung durch einen GA-Einsatz auch im Rahmen des Reformvorhabens interessant?
  •  Könnten wir dadurch nachdrücklicher mit einer geringen Anzahl von verhängten Stunden eine praktikable Sanktion einfahren?
  •  Was wollen die Länder und die dortige Fachministerien für eine Arbeit umgesetzt
    sehen?
  • Inhalte, Ansätze, Vorgaben, Zielsetzungen der Justiz – wie sehen die Vorstellungen aus?
  • Was ist man zu finanzieren bereit?
  •  Diese Fragen wären deutlich und ohne Vorbehalte zu klären. Der Zusammenhang zwischen der Finanzierungsbereitschaft und dem Umfang des Dienstleistungsangebotes muss erkennbar sein.
  •  Die Justiz muss sich erklären, ob sie davon ausgeht, dass der Verurteilte aktiv an der  Umsetzung der GA durch Kontaktaufnahme, -haltung, Einsatzstellensuche mitzuwirken hat.
  • Es ist des weiteren zu beschreiben, ob der Personenkreis der schwierig zu vermit-telnden Personen (z. B., Arbeitsentwöhnte, Suchtkranke, auffällige und kranke Persönlichkeiten usw.) durch ein intensiveres Betreuungsangebot zu vermitteln sind.
  •  Es wäre zu klären, ob die Umsetzung der gemeinnützigen Arbeit als soziale Hilfs-Maßnahme für den Verurteilten ausgestattet werden soll oder diese Sanktion eine Bringschuld (der Verurteilte muss aktiv werden) für den Verurteilten voraussetzt. Je nach Entscheidung der Justizministerien werden bei der Umsetzung unter-schiedliche Arbeitsformen zu entwickeln sein. Auch der Kostenaufwand wird sich daran bemessen.

Der vorgesehene § 55 a StGB beschreibt im Abs. 1 ”die Gestattung unterbleibt, wenn die Erbringung der Arbeitsleistung von vornherein nicht zu erwarten ist”. Hier bedarf es eines klaren Hinweises, wie diese Erkenntnis gewonnen wird? Dürfte hier der Einsatz der Gerichtshilfe im Sinne einer Vorklärung vorstellbar sein? Um unterschiedliche Auslegungen zu vermeiden, wäre wie im § 160 Abs. 3 der Hinweis auf die Gerichtshilfe wünschenswert und notwendig. Eine bundeseinheitliche Umsetzung der gemeinnützigen Arbeit setzt voraus, dass der Umrechnungsfaktor-Stunden gemeinnütziger Arbeit zur verhängten Haftstrafen festzulegen ist.

Es gilt, Detailfragen und Grundsätzliches zu klären.

Wenn dieses  nicht geschieht, werden wir bei Verabschiedung eines Gesetzes über alternative Sanktionen mit weiteren, zusätzlichen Problemen bei der Umsetzung dieser Arbeit rechnen müssen.

 Rainer – Dieter  Hering (Tübingen, den 21. 01.2002)

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