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Wie man Ministerien zugrunde richtet

Von Thomas Giesen

Der frühere sächsische Datenschutzbeauftragte kritisiert Klientelwirtschaft in sächsischen Ministerien. Eine Verwaltung, die nach einer politischen Decke gestreckt wird, sei ein rechtsstaatliches Gräuel.


Zeichnung: Reiner Schwalme

Leichthin ist der öffentliche Dienst das Objekt des Spotts: Ihm werden Faulheit, Hochmut oder Weltfremdheit unterstellt. Vergleicht man etwa die Ministerien in Sachsen mit ähnlich wichtigen Unternehmen, so dürften Klarheit der Aufgabenstellung, Effektivität und Effizienz ihrer Erledigung sowie Fehlerquoten im öffentlichen Dienst zumindest nicht schlechter sein als in der Wirtschaft. Ganz deutlich aber hat die Korruption, mittlerweile durch Studien und Vergleiche anerkannter Organisationen belegt, in Deutschland zugenommen: Viele wichtige Entscheidungen gelten als „gekauft“. Größte Gefahr droht dabei vom Einfluss der politischen Parteien, die doch in der öffentlichen Verwaltung nichts zu suchen haben; ihren Auftrag begrenzt das Grundgesetz auf die „Mitwirkung an der politischen Willensbildung“. Der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker stellte schon vor 25 Jahren fest: „Sie machen sich den Staat zur Beute.“

Die Bereiche, die von Behörden gelenkt und beeinflusst werden, prägen das gesamte soziale Dasein. Deshalb muss das neutrale, gesetzmäßige und reibungslose, das verlässliche Funktionieren dieses Dienstes im Zentrum aller rechtsstaatlichen Bemühungen stehen. Den Ministerien kommt dabei eine vorbildhafte Funktion zu.

Das Prinzip: Die Bestenauslese

Der demokratische Rechtsstaat hat dazu Prinzipien entwickelt, die einen beträchtlichen Rang in unserem Verfassungsgefüge haben: das Gewaltmonopol, die Gewaltenteilung, die Bindung allen staatlichen Tuns an das Gesetz, die Verfahrensrechte des Einzelnen, die Neutralität der Rechtsanwendung, die der Gleichheit des Einzelnen vor dem Gesetz zu entsprechen hat.

Die Staatsdiener, die so zu handeln haben, sind nach Eignung, Befähigung und Leistung auszuwählen und einzusetzen. Eignung, das ist die Charakterfrage, die Pflichterfüllung, die gesetzesverpflichtete Dienstbereitschaft. Befähigung meint Ausbildung, Erfahrung und Innovationsfreude. Leistung misst das fachliche Können anhand erbrachter Prüfungs- und Arbeitsleistungen. Jeder Deutsche hat nach Artikel33 Grundgesetz und jeder Bürger hat nach Art.91 Sächsische Verfassung, immer nur gemessen an diesen Kriterien, gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt.

Das Ideal ist, die Besten zu gewinnen. Vorausgesetzt werden für Mitarbeiter im höheren Dienst eine Universitätsausbildung mit besten Examen oder gleichwertige Berufserfahrungen, zusätzliche Qualifikationen und – wollen sie befördert werden – nachhaltig gute Beurteilungen. Ihre Expertisen beruhen auf den erworbenen Nachweisen persönlicher Tüchtigkeit. Über das gesunde Streben nach Vorankommen innerhalb der geordneten Hierarchie, nach sachlichem Einfluss und besserer Besoldung, muss im erwünschten Wettbewerb der Kandidaten gerichtsüberprüfbar entschieden werden. Demgemäß wissen die so ausgewählten Personen, was sie wert sind.

Die politische Neutralität des öffentlichen Dienstes ist eine gute deutsche Tradition und gilt weltweit als vorbildlich, seit der Soldatenkönig vor fast 300 Jahren in Preußen die Günstlingswirtschaft und persönliche Belohnungen abschaffte und den öffentlichen Dienst unter das Gesetz stellte. Bewusst nahm er sich dabei zurück. Seitdem gelten private Beziehungen, Parteizugehörigkeit, Seilschaften, Nepotismus (Begünstigung von Clans) und Simonie (Ämterkauf) als Markenzeichen totalitärer Staaten oder außereuropäischer Länder.

Die Exekutive ist an Gesetz und Recht gebunden. Die Staatsregierung steht an der Spitze dieser „vollziehenden Gewalt.“ Der beanspruchte „politische Einfluss“ der Regierung auf die Verwaltung ist folglich durch die Gesetze und auf die Organisation ihrer Ausführung begrenzt.

Zugriff der Hausleitung

Der Landtag ist der Ort der Politik; demgegenüber ist die Regierung eine vielfältig gebundene Gewalt; folglich ist auch sie in Personalfragen der politischen Neutralität, also dem Recht, verpflichtet. Vorbildlichkeit, Machtbegrenzung. Hier haben das Parlament und die Medien entscheidende Kontrollfunktionen. Denn eine Verwaltung, die nach einer politischen Decke gestreckt wird, ist ein rechtsstaatliches Gräuel.

Einige Einzelfälle:

Im Sächsischen Justizministerium soll die von der Staatskanzlei dorthin integrierte Europaabteilung mit zwei jüngeren Herren in Dresden und Brüssel zusätzlich bestückt werden, die „Leitungs- und politische Steuerungsfunktionen“ auch über die leitenden Beamten wahrnehmen: Sie „sichern den direkten Zugriff der Hausleitung“.

Deutsche Justizministerien, zweite Gewalt, rekrutieren ihr Personal aus der dritten Gewalt: Oberrichter und hohe Staatsanwälte sollen sich vor ihrer Beförderung in der Ministerialverwaltung „bewähren.“ Der Rechtsstaat mit seiner Gewaltenteilung ist diesem politischen Anliegen offensichtlich nachrangig.

Politischen Einfluss sichern

Bereits kurz nach der Regierungsbildung 2009 trat der Sächsische Staatsminister für Wirtschaft und Arbeit, Sven Morlok, ein Geschäftsmann aus dem Spezialbetonbau mit politischen Erfahrungen im Stadtrat und im Landtag, mit unglaublichen Personalentscheidungen hervor: Er stattete sein Ministerium mit einem zweiten Staatssekretär und entsprechendem Arbeitsstab aus, obgleich die Aufgaben und Befugnisse des Hauses im Zuge der Funktionalreform eingeschrumpft waren und es das erklärte Ziel der Regierung ist, Tausende Personalstellen einzusparen. Seine Begründung – offen vorgetragen – war, er wolle die „politische Einflussmöglichkeit auf die Aufgabenerfüllung verbessern“. So, als ob es gerade bei Subventionsverteilung für die Wirtschaft auf „politischen Einfluss“ ankommen dürfe. Der Arbeitsmarkt und der Straßenbau, seine beiden anderen Felder, bestehen weitgehend in der Umsetzung von Bundesgesetzen bei marginalem Einfluss des Landes.

Bei der Auswahl der Pressesprecherin verletzte derselbe Minister bewusst die Grundsätze der Personalauswahl: Die favorisierte Dame hatte ein Landtagsmandat mit monatlichen Diäten von 4800 Euro brutto zuzüglich steuerfreier Kostenpauschale von circa 2000 Euro. Dieses befristete Wahlamt machte sie zugunsten eines Präsidiumsmitglieds der FDP frei und erhält jetzt als Ministerial-Angestellte ein Gehalt von mehr als 5000 Euro. Hochgerechnet, die Begünstigte ist Anfang dreißig, dürfte das ein Engagement von circa drei Millionen Euro werden. Angestellt ist sie – aus dem Stand – vergleichbar dem Rang eines Ministerialrats/Oberstaatsanwalts (E 16; die Mitarbeitervertretung war bei dieser Höhe der Gehaltsstufe ausgeschaltet). Sie habe zwar keine abgeschlossene Berufsausbildung und keine nennenswerte Berufserfahrung, aber politische Verdienste.

Die Anstellung widerspricht den eindeutigen Vorschriften des Tarifvertrags, der ein „abgeschlossenes wissenschaftliches Hochschulstudium oder gleichwertige Fähigkeiten und Erfahrungen“ bereits für das Eingangsamt im höheren Dienst (E 13) vorschreibt. Man kann sich vorstellen, wie die Stimmung unter den Mitarbeitern ist. Gemessen daran, gehen die Schäden in viele Millionen.

Die freie Stelle eines Abteilungsleiters 1 im gleichen Haus droht ohne Ausschreibung mit einem Berater der FDP-Fraktion besetzt zu werden. Sprungbeförderung ist abzusehen, sobald die Stelle frei ist.

Die Reihe ließe sich fortsetzen. Mit solchen rechtswidrigen Begünstigungen und Benachteiligungen, verübt von Laien, werden nicht nur Bewerberrechte abgeschnitten, es kommt auch Unordnung ins Haus: Die Hierarchien werden auf den Kopf gestellt, es bilden sich neben der hergebrachten Gliederung „politische“ Nebenstränge, Umgehungen, Kaltstellungen und Respektlosigkeiten vor neutraler Leistung. Die Folgen sind absehbar: Vorauseilender politischer Gehorsam, Liebedienerei, aber auch Missverständnisse und belauernde Feindschaften, halt „Krach“. Schlimmer noch: Innere Emigration, leiser Dienst nach Vorschrift. Jahrzehntelang hat man Nichtskönner im Pelz.

Ausschreibung als Ausnahme

Zwar müssen öffentliche Aufträge mittlerweile öffentlich ausgeschrieben und transparent vergeben werden; jedoch sieht das sächsische Recht die Ausschreibung bei der Personalgewinnung und bei der Beförderung nur vor, „wenn es im besonderen öffentlichen Interesse liegt.“ Folge: In der Regel wird die Stelle kurzerhand besetzt oder unter internen Bewerbern ausgewählt, anstatt in jedem Fall ein digital gestütztes und neutrales Assessment-Center einzuschalten. Eine solche zentrale Personalverwaltung, die überdies leicht 50 Stellen einspart, scheitert regelmäßig am Ressortegoismus. Jeder Minister bangt um seinen politischen Einfluss auf Personalentscheidungen, vor allem auf deren Vorbereitung durch Stellenarithmetik, Absprachen, Jubelbeurteilungen, vorläufige Besetzungen, Förderung von Jasagern und Parteifreunden. Das Ideal wird verfehlt. Das Niveau sinkt. Die Verwaltung wird politikanfällig. Ihr Ansehen wird welk.

Reden gegen die Politikverdrossenheit? Ich kann sie nicht mehr hören.

Unser Autor: Thomas Giesen, Sächsischer Datenschutzbeauftragter a. D. hat die sächsischen Behörden bei ihrem Aufbau begleitet und sie 13 Jahre lang kontrolliert. Er ist Mitverfasser des Gutachtens zur sächsischen Verwaltungsreform und arbeitet als Rechtsanwalt in Dresden.

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