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Soziale Ermittlungshilfe und andere vorbeugende Konzepte zur Fortentwicklung der Sozialen Strafrechtspflege

GERICHTSHILFE/ D    –    Veiligheidshuis/ NL    –    ZSM/ NL

Einleitung

Die nachfolgend beschriebenen Projekte kommen  sehr früh im Ermittlungsverfahren oder schon vor der Zuständigkeit der Justiz zur Regelanwendung. Allen gemeinsam ist der präventive Ansatz.

Veiligheidshuis und ZSM sind verbindlich durch festgeschriebene Kooperationen umzusetzende Projekte in allen Gerichtsbezirken der Niederlande. In Deutschland haben alle Länder den vorrangigen Gerichtshilfeeinsatz betont jedoch keine vergleichbaren,  Einsatzregelungen für die beteiligten Justizbehörden festgelegt.

Die Entstehung der Gerichtshilfe steht in einem engen Zusammenhang mit der Veränderung des Strafrechts ab 1920. Mit der Entwicklung der forensischen Forschung kam die Einsicht, dass die Persönlichkeit des Täters und seine Beweggründe stärker zur Beurteilung seiner Handlungsweise heranzuziehen sind.

Ab 1923 entstand so bis 1933 im Reichsgebiet die „Soziale Gerichtshilfe“, angesiedelt bei unterschiedlichen Trägern (Wohlfahrtsverbände, Kommunen, Justiz). Erst nach der 28. Länderjustizministerkonferenz, 1958 gab es einen entscheidenden Aufschwung durch eine Entwicklungsreihe „Gerichtshilfe“. Diese wurden in Augsburg, Bonn, Osnabrück, Ulm und Wiesbaden durchgeführt. Nach Abschluss sprachen sich die Justizminister im Oktober 1958 dafür aus, die Gerichtshilfe in das Strafprozessrecht einzuführen. Ab diesem Zeitpunkt fand der Aufbau der Gerichtshilfe in den Bundesländern statt. Grundsätzlich gehört dieser Dienst zum Geschäftsbereich der Landesjustizverwaltungen. Die Zuordnung ist in den Ländern unterschiedlich geregelt. In den zurückliegenden Jahren kam es in mehreren Bundesländern zu organisatorischen Veränderungen mit sehr nachhaltigen Auswirkungen in der vorrangigen Aufgabenstellung der Gerichtshilfe.

Verdeutlichen wir uns, was der Grund für die Schaffung der Gerichtshilfe war, und verbinden diese Aussage mit Urteilen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen, der zu folgenden Aussagen kam:

„Ohne die Kenntnis der Täterpersönlichkeit lässt sich weder das Maß der persönlichen Schuld eines Täters noch Maß und Art seiner Resozialisierungsbedürftigkeit, insbesondere nicht seine Strafempfindlichkeit beurteilen (BGHSt 7,28,31)“.

Erst als Folge  aufgehobener Urteile aus Rheinland- Pfalz kam es dort  zu der stufenweise Einrichtung der Gerichtshilfe bei den Staatsanwaltschaften. Die vorherige Organisation des Sozialen Dienstes mit der Anbindung bei den Landgerichten war auf die Bewährungshilfearbeit ausgerichtet. Aufträge von den Staatsanwaltschaften im Ermittlungsverfahren waren selten. Dieser Umstand führte bei der Landesregierung und dem Justizministerium zur Feststellung, es bestehe mangels Aufträge kein Bedarf zur Bildung einer Gerichtshilfe. Der jetzige Status ergibt eine drastisch  andere Aussage. Die vorrangige Beauftragung durch die Dezernenten ist seit Jahren belegt. Dennoch will das Justizministerium eine Organisationsveränderung mit der Zusammenlegung der Bewährungshilfe und somit der Herauslösung der Gerichtshilfe, weg  von der Staatsanwaltschaft anstreben.

Wenn wir die Entwicklung der Gerichtshilfe – die in den Bundesländern nicht gleichzeitig sondern zeitlich versetzt erfolgte – skizzieren, so wird deutlich, dass der Auf- sowie der Ausbau, die Positionierung und der vorrangige Einsatz im Ermittlungsverfahren kein „Selbstläufer“ war. Über Jahre galt es, im Zusammenwirken der Praktiker mit den Behördenleitern, den Generalstaatsanwälten und in einigen Ländern mit den Strafrechtsabteilungen der Justizministerien, auftretende Unverträglichkeiten, und Einzelprobleme zu beheben und/oder Veränderungen im Sinne von Verbesserungen zu erreichen. Von der Gerichtshilfe in Baden-Württemberg gingen Impulse zur Fortentwicklung der sozialen Strafrechtspflege nicht nur im nationalen Bereich aus. Hier wurde die Konfliktregulierungsarbeit (TOA) und die Opferberichterstattung theoretisch und praktisch zuerst erarbeitet und später in andere Bundesländer übernommen.

Unsere Arbeitsgemeinschaft (ADG) veranstaltet seit Jahrzehnten Fortbildungen und Studienfahrten in verschiedene europäische Länder. Diese Angebote wurden und werden regelmäßig von Mitarbeitern der Justiz aus dem In- und Ausland genutzt. Hieraus ergeben sich  Anregungen für die  eigene Arbeit. So auch  niederländische Konzepte, welche sehr frühzeitig bei sozialen Auffälligkeiten – deutlich vor einer Zuständigkeit der Justiz –  einsetzen.

Veiligheidshuis (Sicherheitshaus).

Wenn wir dieses Konzept beschreiben, sollten wir uns nicht von der deutschen Übersetzung irritieren lassen. Dieses Projekt gibt es in allen Regionen der Niederlande. Auf unsere Verhältnisse übertragen, könnte dieses für die Zuständigkeitsbereiche der Land- und Stadtkreise oder der Landgerichtsbezirke organisiert werden. Das Konzept sieht die Zusammenarbeit staatlicher und kommunaler Stellen sowie freier Verbände vor. Dahinter verbergen sich Stadtverwaltungen, Jugendämter, Kinderschutzorganisationen, Arbeitsämter, Sozialämter, Schuldenhilfe, Gesundheitsämter, die Suchthilfe, die Schulen, Opferschutzvereine – gleichfalls Polizei, Staatsanwaltschaft, Gerichte, Gerichtshilfe und Bewährungshilfe. Organisiert wird das Veiligheidshuis mit Unterstützung der Städte. Das Team besteht nur aus maximal 3 Mitarbeitern  (Teilzeit), die in angemieteten Räumen, wie z. B. in Alkmaar im Haus der Feuerwehr, die Arbeit koordinieren. Die Mitarbeiter der beteiligten Dienste und Organisationen können dort, bei den Gruppensitzungen, auch ihre sonstigen Arbeiten verrichten, Gespräche mit Klienten führen, bis die Arbeitsgruppe zusammengerufen wird. Als Zielgruppen befasst man sich mit Kindern und Jugendlichen mit sozialen Auffälligkeiten und/oder Strafverfahren, kriminellen Jugendgruppen, Opfern und Tätern von Gewalt im Privatbereich, Personen, die aus der Haft entlassen werden, sowie Intensivtätern. Als zusätzliche Zielgruppen sieht man sogenannte Risiko-Bürger, Opfer und Täter in Verbindung mit Menschenhandel.

Welche Informationen der Arbeitsgruppe sind relevant?

  • Schulden, Einkommen, Wohnsituation, Familie, Freunde, Gesundheit, Beschäftigung und ein möglicher strafrechtlicher Lebenslauf.

Es werden neun Arbeitsschritte genannt:

  • Informationen sammeln, erste Besprechung, Informationen ergänzen, Problemanalyse, Interventionsplan/Ziel,  Resultat, evtl. alternative Szenarien, kommentieren und anpassen, abrunden und archivieren.

Welche Interventionen sind möglich?

  • Hilfsangebote, Strafen und Zwangsmaßnahmen.

Unmittelbare Resultate:

  • Produktion, kurze Laufzeit, Abstimmung und Zusammenhang, zeitnah signalisieren und intervenieren.

Gesellschaftliche Effekte:

  • mehr Sicherheit für Bevölkerung, Abnahme Rezidive (Wiederkehr, Rückfall), Zunahme der Lebensqualität, Kosten- Nutzen – Balance.

Sichtbarer Effekt?

  • Niemand wird aufgegeben, selbst schwierigste Fälle werden behandelt. In jede Person wird investiert.

Mit jedem in diesem Konzept investierten Euro spart der Staat 3 Euro.

Fazit:

-         Ideal bei Multiproblemfällen (mehrere Fachdienste sind andernfalls nebeneinander tätig)

-         Regie über Problemanalyse und Interventionsplan

-         Organisationen bleiben verantwortlich für „Ihre“ Intervention

-         die Kosten-Nutzen-Balance ist ausgezeichnet

Dieses Konzept ist ausgerichtet auf einen sehr frühzeitigen Eingriff bei sozialer Auffälligkeit. Die beteiligten Fachleute/Stellen bringen ihr Anliegen in die Runde. Häufig ergeben sich hierdurch erstmalig verbindliche Hinweise auf Mehrfachbetreuungen, insbesondere bei Multiproblemfällen in Familien/Gruppen. So konzipiert, erhalten die unterschiedlichen Dienste und Vereine eine frühzeitige Einsicht – insbesondere die kommunalen Behörden, die soziale Hilfen und Leistungen anbieten.

ZSM – ein Neuentwurf der strafrechtlichen Vorgehensweise zur Prozessoptimierung in den Niederlanden, ein Weg zur Verstärkung der Polizeileistungen durch Verminderung der Belastung von Verwaltungsaufgaben, der Weg zur schnelleren Erledigung häufig vorkommender Kriminalfälle. Diese drei Ansätze hat das Ministerium für Sicherheit und Justiz über einen längeren Zeitraum erproben lassen und danach für alle Landgerichtsbezirke eingeführt.

ZSM bedeutet so schnell, intelligent, einfach wie möglich, gemeinschaftlich und gesellschaftlich orientiert zu handeln.

Eine Voraussetzung war die Anbindung an die Staatsanwaltschaft die Zusammenarbeit mit der Reclassering, dort der Gerichtshilfe und der Polizei in einer einfachen Arbeitsstruktur.

Kernpunkte dieses Projektes:

-         ein Ort pro Gerichtsbezirk als ZSM-Büro,

-         Zusammenarbeit mit der Gerichtshilfe,

-         Gleichzeitiges arbeiten,

-         Multidisziplinäres Vorgehen,

-         schneller Zugriff auf Informationen,

-         höhere Geschwindigkeit und Qualität,

-         Einbeziehung der Staatsanwaltschaft direkt nach der Festnahme,

-         breite Palette von Möglichkeiten zur Intervention,

-         kreative Vorgehensweise inner- und außerhalb des Strafrechts,

-         Kontextgebunden, Umwelt einbeziehen und mutig.

Rolle der Gerichtshilfe:

-         Screenen aller festgenommenen Verdächtigen die beim ZSM gemeldet sind, mit dem Ziel die Erfassung auf den Besprechungstisch zu geben,

-         hierdurch gemeinsam im Rahmen einer personenbezogenen Vorgehensweise zu beraten ob z. B. eine nähere Untersuchung erwünscht ist.

Die Bearbeitungen sind in überwiegend in 7 Arbeitstagen abgeschlossen. Der Durchlauf ist in 94% der Fälle binnen eines Monats erledigt.

In dem Projekt wird an 7 Tagen jeweils für 14 Stunden gearbeitet und dementsprechend ist das Büro in dieser Zeit erreichbar.

Hierdurch haben sich die Arbeitsstrukturen für die beteiligten Mitarbeiter verändert. Eine Ausweitung der Wochenarbeitszeiten für die einzelnen Mitarbeiter ist nicht gegeben.

Aussichten

In verzahnten Projekten der verbindlichen Zusammenarbeit kann  sozialen Auffälligkeiten gezielter begegnen werden. Hierdurch sind  Verhaltenskorrekturen besser erreichbar. Es gilt deshalb durch aktive Zusammenarbeit Präventionsansätze zu entwickeln, die deutlich vor straffrechtlichen Auffälligkeiten beginnen( Verligheitshuis). Derartige Konzepte rechnen sich für alle kommunalen und staatlichen Bereiche,  auch für die Strafjustiz. Ob öffentliche Dienste, Verbände oder Vereine in den Landeshaushalten werden für die jeweilige Facharbeit Haushaltsmittel eingestellt.

Kosten fallen somit nicht zusätzlich an.

Es gilt, entgegen dem gegenwärtigen Trend die Präventionsarbeit und den Gerichtshilfeeinsatz im Ermittlungsverfahren umfassend zu verstärken.

Wir empfehlen die Erstellung  vergleichbarer Konzepte wie in den Niederlanden. In der Diskussion ist es nicht dienlich, das ob sondern ausschließlich das wie in den Mittelpunkt der Erörterungen zu stellen. Was mit den Möglichkeiten des „Sicherheitshauses“ nicht von strafrechtlichen Auffälligkeiten  ferngehalten werden kann, über Strafanzeigen bei der Staatsanwaltschaft landet, sollte dort von der Gerichtshilfe einer Klärung, ob und wie Maßnahmen zu setzten sind, zugeführt werden. Bei einer derartigen Vorgehensweise kommt es zu einer deutlichen Entlastung aller weiteren Fachleute und Stellen in der Justiz.

Rainer-Dieter Hering, ADG-Präsidium   Arbeitsgemeinschaft Deutsche Gerichtshilfe

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