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Gedanken und Anmerkungen zum Thema der DBH-Bundestagung 2015-„Privatisierung in der Kriminalpolitik passé?“

Dem Thema kann man sich von unterschiedlichen Standorten aus nähern und  sich damit befassen. Unabhängig von der Vorgehensweise wird es im Kern der Betrachtung darauf ankommen, welche Ziele und Ergebnisse erreicht und/oder vorgegeben werden sollen.
Hilfreich sind gleichfalls die Wahrnehmungen wie Entscheidungen über die Entwicklungen in anderen europäischen Ländern. Nicht zu vergessen, die abrufbaren Hinweise aus den Bundesländern, hier insbesondere aus Baden-Württemberg.
Betrachten wir das gestellte Thema vom Ende her, ziehen wir Vergleiche zwischen den gesetzten Zielen und der Realität, so wird sich transparenter und sehr deutlich zeigen, welche Organisationsformen für welche Aufgaben in der Kriminalpolitik gewählt werden sollten, gar notwendigerweise ohne Alternativen sind.
Die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift „Bewährungshilfe“, Heft 2 aus 2015 beschäftigt sich u. a. mit der Darstellung und dem Vergleich der Organisationsformen der Sozialen Dienste in Europa (Jehle + Palmowski), geht in weiteren Darstellungen auf die Entwicklung des Probation Service in England und Wales ein (Lol Barke), gibt Hinweise über den Wandel in der Bewährungshilfe in Frankreich (Pascal Décarpes) und veröffentlicht einen Beitrag von Stefan von der Beck über seine Sicht der Entwicklung des ambulanten Justizsozialdienstes Niedersachsens.  Letzterer hat sich nicht mit dem Tätigkeitsfeld der Gerichtshilfe, des Täter-Opfer-Ausgleichs und der Führungsaufsicht und weiteren Aufgaben befasst. Das Eingeständnis hier unvollständig und somit die fachlich – inhaltlichen Aufgabenstellungen des AJSD nur zentriert auf die Bewährungshilfe dargestellt zu haben, führt zu einer völlig überzogenen Darstellung des AJSD als vierte Säule der Justiz. Das Bild von einem Gefährt mit 5 Rädern wäre auch zu korrigieren, da mehrere Räder verloren gingen, oder?
Wir ergänzen die vorgenannten Darstellungen und Ergebnisse mit den aktuellen Entwicklungen in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg sowie den Modellversuchen in Hessen und eines Versuchs im OLG-Bez. Bamberg/Bayern über die Bündelung der Aufgaben von Bewährungs- wie Gerichtshilfe in Personalunion.
Immer aufs Neue treffen wir auf Struktur- und Organisationsfragen. Auf den ersten Blick scheint es  nicht unbedingt das obige Thema, ob es weiterhin eine Privatisierung im Bereich der Strafrechtspflege geben soll bzw. kann, zu tangieren.
Genauer betrachtet, die Darstellungen aus England/Wales unterstreichen es, geht es zentral immer häufiger und unverhohlener um betriebswirtschaftliche Vorgehensweisen, jenseits von fachlichen Vorgaben der Justiz und Sozialarbeit.
Es sind keine neuen und veränderten Sichtweisen. Wir treffen schon seit den 70iger Jahren auf derartige Ansätze, die nur nicht so deutlich im Vordergrund die finanziellen Bedingungen herausstellten.
Hier nun eine kleine Auswahl von Hinweisen. Bei den eingangs genannten Beiträgen aus England/Wales und Frankreich werden die angestrebten bzw. eingeleiteten Aufgaben und die Verteilung von Arbeitsanteilen zwischen den staatlichen Stellen und privaten Organisationen deutlich beschrieben.
In Deutschland, hier insbesondere in BW, wird dieser Umgang mit der Privatisierung und deren Folgen abgemildert in der Öffentlichkeit dargestellt. Die fachliche Arbeit sei vorrangig und erst danach komme die Frage, welche Organisationsform die preiswertere Variante  darstelle. Es ist angeraten, diese Aussagen genauer zu prüfen. Ein Vergleich zwischen der angesagten Aufgabenerfüllung und den tatsächlichen Ergebnissen zeigt u. a. durch die Überprüfung (Dölling und Kollegen), dass die Feststellung durch die Vertragspartner JM BW und Neustart, es sei eine richtungsweisende Facharbeit eingeführt und erbracht worden, einer genauen Hinterfragung nicht Stand hält.

Wenden wir uns zuerst dem Vergleich der Organisationsformen der Sozialen Dienste in Europa zu, so wie in der Zeitschrift „Bewährungshilfe“, Heft 2/2015 von Jehle und Palmowski ab S. 103 beschrieben. Eine Feststellung lautet „die Sozialen Dienste in der Justiz sind überwiegend öffentlich-rechtlich (staatlich) organisiert“. Private Organisationsformen sind weniger verbreitet. Es gibt verschiedene Abstufungen, Zwischenformen, so u.a. staatlich beauftragte bzw. subventionierte gemeinnützige Organisationsformen. Ob sich die Aussage (S.104) halten lässt „kein einziges Land gab in der DECODEUR-Studie an, dass die Sozialen Dienste in der Justiz als privates kommerzielles Unternehmen organisiert sind“, muss nach dem Lesen des Berichtes über den Wandel in England und Wales (ab S.116, Heft 2/2015) bezweifelt werden.
Unter der Überschrift „Die Öffnung des Marktes“ wird der Probation Service vor allem durch seine ständigen Veränderungen gekennzeichnet. Viele Jahre lang waren die Dienste der Bewährungshilfe ständigen Umorganisationen und damit einer entsprechenden Instabilität ausgesetzt. Es gebe einen längerfristigen Paradigmenwechsel und dieses gelte als Mittel, welche die besten Aussichten zur Steigerung von Innovationen und Verbesserungen der Effizienz biete. Es wird deshalb auf Wettbewerb und Privatisierung gesetzt. Weiter wird dargestellt (S.117) „der Rückzug öffentlicher Dienste hat in den Angeboten große Lücken gerissen, zu deren Schließung private Unternehmen ermuntert werden.“
Der Artikel endet auf S. 127 mit den Worten von Mc Neill:
„Resozialisierung deutet man sich am besten als Anliegen aller und Geschäft für niemanden. Transforming Rehabilitation läuft Gefahr, es zum Geschäft einiger und einem Anliegen für niemanden zu machen.“

Wir empfehlen, die hier nur in wenigen Auszügen dargestellte Entwicklung sowohl in England/Wales wie auch Frankreich, ab S. 129, in der Zeitschrift „Bewährungshilfe“ nachzulesen.
Zu Frankreich hier nur stichpunktartige Darstellungen aus dem Bericht.
„Die Bewährungshilfe ist mit zwei Veränderungsprozessen konfrontiert. Einerseits wird die Fallbelastung immer größer, andererseits wird die Bewährungshilfe regelmäßig reformiert bzw. umstrukturiert.“
Die Umstrukturierung entspricht in ihren Ansätzen einem betriebswirtschaftlichen, kostenorientierten Leitgedanken des öffentlichen Dienstes.
Die französischen Bewährungshelfer werden aufgefordert, die Auflagen als Schwerpunkt ihrer Tätigkeit zu beachten, wodurch die soziale Betreuung der Klienten zweitrangig wird (S.136).

Betrachten wir die Organisationsform in den Niederlanden, so muss für den Leser eine nähere Darstellung ergänzend beschrieben werden, die erst dadurch Unterschiede zu anderen nichtstaatlichen Organisationsformen erkennbar werden lässt.
In den Niederlanden gibt es generell zu Deutschland andere Lösungen von gesellschaftlichen Aufgaben, hierdurch Organisationsformen, die in der Bundesrepublik meist öffentlich-rechtliche Strukturen aufweisen. An Stelle vieler Arbeitsfelder die durch Kommunen, die regionalen oder staatlichen Ämter/Behörden ausgeführt werden könnten,  treten Stiftungen. Ob für die Arbeitsvermittlung, Krankenhäuser und viele andere Aufgaben, insbesondere Soziale Dienste im Bereich der Resozialisierungsarbeit Straffälliger, treten landesweit Stiftungen.
Das besondere dieser Organisationsform besteht darin, neben dem beauftragenden Staat und dem Auftragnehmer, einer subventionierten gemeinnützigen Organisation, werden im Kontrollgremium der Stiftungen viele gesellschaftliche Gruppierungen/Personen berufen, die nicht Vertreter der Vertragspartner sind.

Hierdurch ergibt sich  eine größere Transparenz – ein deutlicher Unterschied zu dem bis Ende 2016 bestehenden Organisationsmodell Neustart gGmbH – Baden-Württemberg. Laut vertraglicher Vereinbarung zwischen dem Land, vertreten durch das Justizministerium und dem privaten Träger Neustart gGmbH gibt es eine Klärungsstelle bei Problemen, Veränderungsnotwendigkeit, Personalfragen etc., jedoch sitzen dort nur Vertreter der Vertragspartner. Hier können sich die Vertragspartner gegenseitig alles bescheinigen. Auch offenkundige fehlerhafte Entwicklungen, wie Abweichungen von den Standards in der Sachbearbeitung,  führten nicht zu Korrekturen. Erkennbar ist dieses bei der Bestandsaufnahme im Evaluationsbericht des Justizministeriums BW. Obwohl die vom Justizministerium eingesetzten Professoren in ihrem Teil des Berichtes konkrete Beanstandungen benannten, tauchen in der vom Justizministerium verfassten und vorangestellten „Zusammenfassung“ keine  Mängelhinweise auf, deshalb gleichfalls keine Ausführungen über Verbesserungen, vielmehr wird die privat organisierte und umgesetzte,  vom Staat bezahlte Dienstleistung als richtungsweisende Facharbeit benotet.

Wenn in der Kriminalpolitik weiterhin Bereiche und Tätigkeitsfelder  privatisiert ausgeführt werden sollen, gilt es zuerst und vorrangig auf die Erreichbarkeit der Aufgaben zu achten. Mit anderen Worten, nicht die theoretische Zielankündigung sondern die Einlösbarkeit der Aufgaben ist als Maßstab für Entscheidungen anzulegen.

Wir haben eine ganze Reihe von Aufgaben im Bereich der sozialen Strafrechtspflege, die über viele Jahrzehnte von privaten, gemeinnützigen Organisationen wahrgenommen werden. Ohne diese  Aufgabenbewältigung wären u. a. die staatlichen Sozialdienste der Justiz erheblich in ihrem eigenen Wirken begrenzt. Häufig wären Zielvorstellungen der Resozialisierung nicht bzw. kaum erreichbar. Aufgaben wie die Umsetzung von „Gemeinnütziger Arbeit“ wurden in vielen Bundesländern zu Beginn dieser  Maßnahmen von den sozialen Diensten der Justiz ausgeführt. Nunmehr wird schon seit Jahren immer zunehmender diese Tätigkeit von privaten gemeinnützigen Verbänden/Vereinen übernommen und ausgebaut. Auch die Konfliktregelungsarbeit wird von unterschiedlichen Diensten/Organisationen umgesetzt. Es besteht keine Dominanz der staatlichen Sozialarbeit.
Es ist somit festzustellen, dass die Privatisierung in der Kriminalpolitik nicht passé ist. Sie ist ausbaufähig, jedoch müssen alle Arbeitsfelder gründlich daraufhin überprüft werden, wie und unter welchen Strukturen effektive und effiziente Zielvorstellungen erreichbar sind.

Für die Gerichtshilfe bedeutet dieses, die gestellten Aufgaben im Ermittlungsverfahren als soziale Ermittlungshilfe sind nur als integrierter Dienst innerhalb der Staatsanwaltschaften umfänglich zufriedenstellend einlösbar. Wer diese Feststellung bezweifelt soll sich der Mühe unterziehen, andere Aufgaben absichernde Strukturen vorzustellen.
Es wären Erklärungen notwendig, weshalb unter den vielfältig dargestellten Organisationsformen in Deutschland bislang keine zumindest ausreichende Gerichtshilfebeiziehung im Ermittlungsverfahren erreichbar war, sofern die Gerichtshilfe außerhalb der Staatsanwaltschaften ressortiert war.

Bei den vielfältigen Aufgaben im Bereich der sozialen Strafrechtspflege sind keine Lösungen und Vereinbarungen im kleinen geschlossenen Kreis anzustreben. Transparenz, wenn auch manchmal nervig und hemmend, ist unverzichtbar. Nur so kommen gemeinsam tragfähige Lösungen zu Stande.

Rainer-Dieter Hering
ADG e. V., Sept.2015
zur DBH- Bundestagung in Damp/SH

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